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DU HÖRST VON MIR

DU HÖRST VON MIR

Titel: DU HÖRST VON MIR
Autoren: Luis Algorri
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Haustür trat, sah ich ihn auf der anderen Straßenseite. So wie er gekleidet war, mit einer Jeansjacke mit Lammfellkragen, hatte ich im  ersten Moment das Gefühl, ihn entfernt von irgendwoher zu kennen. Als er die Hand hob und mir zuwinkte, schaute ich genauer hin. Ja, ganz sicher hatte ich ihn schon einmal gesehen: Das blonde Haar, das in einer Strähne über sein linkes Auge fiel, die hellen Augen. Es saß auf der Steinbalustrade.
    Ich überquerte die Straße.
    »Kennen wir uns?«, lächelte ich.
    »Erinnerst du dich nicht mehr?«
    »Na ja...«
    »Du hast mir das hier letzten Sommer gegenüber im Park gegeben. Das wollte ich dir zurückgeben.«
    Er drückte mir drei Tausend-Pesetenscheine in die Hand.
    Ich schaute ihm in die Augen. Der Junge versuchte zu lächeln, aber er war sehr nervös. Natürlich erinnerte ich mich an ihn. Der Stricher aus dem Park, in jener Nacht. Ich war verwirrt.
    »Was machst du hier? Warum bist du gekommen, nach so langer Zeit?«
    »Na ja, siehst du doch.«
    »Und woher weißt du, wo ich wohne?«
    »Na, ich bin dir nachgegangen, als wir uns kennen gelernt haben«, sagte er ohne mich anzuschauen. »Du, ich wollte sehen, wie es dir geht. Ich habe gehört, du warst krank.«
    »Ein bisschen. Jetzt geht's mir wieder besser, ehrlich. Vielen Dank.«
    »Du bist ja ganz dünn geworden...«
    »Na, so schlimm ist es auch wieder nicht...«, ich sah ihn mir an, »wenn ich ganz ehrlich sein soll, du bist der Letzte, von dem ich...«
    »Ja, das denke ich mir. Na ja, um auch ehrlich zu sein...«, er schwieg kurz, wurde immer nervöser, »komme ich nicht zum ersten Mal. Aber wo du ja kaum das Haus verlässt...«
    Ich setzte mich neben ihn.
    »Du möchtest mir eigentlich etwas sagen, und weißt nicht, wie du anfangen sollst«, sagte ich zu ihm.
    Er blieb still, schaute den vorbeifahrenden Autos zu.
    »Warum gehen wir nicht ein Stück spazieren, bevor es anfängt zu schneien«, schlug er vor.
    »Ja, warum nicht.«
    Wir gingen hinunter in den Park, der ganz einsam, traurig und winterlich dalag. Der kalte Wind wirbelte durch die trockenen Blätter am Boden. Wir gingen langsam, die Hände tief in die Hosentaschen vergraben.
    »Na gut... es gibt jemanden, der dich um Verzeihung bitten möchte und dir Grüße ausrichten lässt. Also in Wirklichkeit schickt er dir einen Kuss.«
    »Wer?«
    »Er hat mir das hier für dich gegeben.«
    Er nahm aus seiner Jackentasche ein kleines, grau eingewickeltes Päckchen. Als ich es öffnete, setzte mein Herz einen Schlag aus. Ich wurde blass. Ich hielt, sorgsam gefaltet, die blaue Badehose Josés in der Hand.
    »Was soll das denn?«, murmelte ich und schaute ihm tief in die Augen.
    »Ganz ruhig, Javi, ganz ruhig. Hör mal, versteh es nicht falsch. Fang jetzt nicht an zu weinen. Es ist doch nun alles überstanden, oder? Komm, sei ganz ruhig. Wir setzen uns hier mal auf die Bank. Verdammt, ich hab es mir ja gedacht.«
    »Kannst du mir sagen, was das soll?«, sagte ich und blieb stehen.
    »Nichts, es ist nett gemeint. Ehrlich. Er kann dich nicht sehen... Na gut, er will dich nicht sehen, er meint, es wäre besser, alles so auf sich beruhen zu lassen, aber...«
    »Wer? Wer will mich nicht sehen?«
    »Du weißt doch wer. José Antonio, José. Es ging ihm sehr, sehr nah, als er hörte, wie schlecht es dir gegangen ist und möchte, dass du ihm verzeihst.«
    »Und warum kommt er nicht, und sagt mir das selbst, wenn es ihm angeblich so nahe gegangen ist?«
    »Keine Ahnung. Ich nehme an, er hat Angst davor, dich zu treffen. Aber versteh es bitte nicht falsch. Bitte.«
    Wir gingen weiter. Ich fühlte mich plötzlich wieder schwach, ich atmete schwer. Der Junge nahm meinen Arm, und wir gingen eine Weile schweigend nebeneinander her.
    Ich merkte immerhin, dass der faulige Geruch der Erinnerungen sich verzog, dass ihre Kraft nicht mehr dieselbe war. Ich zündete mir nervös eine Zigarette an.
    »Hast du auch eine für mich?«
    Da plötzlich, als ich diesen Tonfall hörte, war die Erinnerung wieder da. Als ich in jener Nacht, in der ich diesen blonden Jungen kennen lernte, nach Hause ging, hatte er mir eine Schachtel Zigaretten zugeworfen, die nicht mir gehörte. Ich hatte meine Schachtel ein paar Minuten später, schon in meinem Zimmer, in meiner Jackentasche gefunden. Ich lächelte, als ich ihm Feuer gab.
    »Behalte die Schachtel. In Wirklichkeit gehört sie dir. Damals in jener Nacht, als du mir eine Schachtel zugeworfen hast, hatte ich schon...«
    »Nein«, unterbrach er mich, »sie
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