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Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Titel: Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)
Autoren: Jochen Missfeldt
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liebliche Morgendämmerung der Jugend .

Mutter Lucie
    Welche Gefühle Mutter Lucie entfalten konnte, wie viel Liebe und Leidenschaft in ihrem Mitleid steckte und mit welcher Erzählkraft sie ihrem Schmerz Ausdruck verlieh, darüber gibt ein Brief Auskunft, in dem es um das tragische Schicksal von Storms Schwester Cäcilie geht. Cäcilie wird als zart und nervenschwach beschrieben; schon als junges Mädchen litt sie unter Ess-Störungen. Andauerndes Brechübel , so schreibt Storm darüber an Constanze. Mit dreiundzwanzig Jahren wurde sie schwanger von einem dänischen Offizier. Darüber schreibt der Hausarzt der Familie Storm in seiner »Krankengeschichte v. Ørstedt, geb. Storm« am 14. Januar 1858: Als uns im Kriege die dänische Armee auch hier einrückte, wurde dem Auditeur (Militärrichter) Ørsted, Sohn des berühmten dänischen Naturforschers, Quartier im Hause der Eltern angewiesen, und dieser benutzte mehr als leichtsinnig die Neigung der jungen Dame .
    Mit Beihilfe von Bruder Theodor, der das Verhältnis entdeckte, zwang die Familie Cäcilie, Ørsted zu heiraten; sie gebar das Kind 1853; es starb ein halbes Jahr nach der Geburt. Danach wurde die Ehe geschieden. »Cile«, so wurde sie in der Familie genannt, lebte nun die nächsten Jahre im Elternhaus und litt zunehmend unter Zwangs- und Wahnvorstellungen. Im Januar 1858 wurde sie in die Landesirrenanstalt nach Schleswig gebracht. Lucie schreibt an Theodor und Constanze nach Heiligenstadt, wo Storm mit seiner Familie im Exil lebte und als Richter am Kreisgericht arbeitete:
    Lieben Kinder
    die Ahnung, die stille Furcht langer Jahre ist in seiner ganzen Furchtbarkeit und Trostlosigkeit erfüllt! Unser armes Kind hat umsonst gegen den Wahnsinn gekämpft mit der ganzen Kraft ihres Willens; aber umsonst, der Dämon, wie sie ihn selbst nannte, hat sie gepackt und hält sie umfangen mit seinen Krallen. Furchtbar, furchtbar. Wie unzählige Male hat sie mich gefragt: Bin ich nun ruhig, Mutter, bin ich noch anders als die andern Menschen? – Du armes rettungsloses Kind warst vielleicht schon vor deiner Geburt dem Wahnsinn als Opfer verfallen. Jetzt ist sie im Irrenhause bei Schleswig. Johannes und Tine, unsere treue Freundin, von ihr so besonders geliebt, brachten sie kommenden Sonnabend vor 14 Tagen hin. Gott sei gedankt nicht mit Gewalt. […] Am Abend vorher war sie sehr unruhig ging im Dunklen zuletzt mit aufgelöstem Haar trotz alles Bittens auf dem Hofe auf und ab, kam zeitweilig herein, um immer wieder Brausepulver zu nehmen. Rathlos schickten wir zum Doctor, der sie so weit brachte, daß sie auf ihrer Stube blieb und sich zu Bette legte. Er verschrieb ihr Schlaftropfen von denen sie auch zweimal ein nahm und schon müde wurde. Rinke und Stehrsche wachten. Kaum waren Tine und ich im Bette so kam sie schon halb schlaftrunken und bat ganz sanft und rührend: Mein Mutter darf ich nicht bei dir schlafen, ich bin so ängstlich. Wie ein Kind legte sie sich in meinen Arm, bat noch Line nach der Lampe zu sehen, es mögte sonst gefährlich sein, sagte noch die »Die Danner ist gut« und schlief dann die ganze Nacht. Beim Erwachen den Morgen bat sie mich bei ihr im Bette zu bleiben, nein sagte sie bald darauf, stehe auch nur auf, es ist so am Besten. Späterhin kam der volle Wahnsinn wieder über sie; in diesem kamen Ausbruche der Liebe und Herzensgüte, die uns zu Thränen rührten. Sie hat den Wahnsinn an sich herankommen sehen. Otto hat es Euch wohl erzählt. O lieben Kinder das war ein Jammer, Gott schütze jedes Aelternpaar davor, nicht allein am Tage, in der Nacht kam sie vor unser Bett und jammerte, ich werde verrückt, vielleicht bin ich es schon, vielleicht ist mir noch zu helfen; ich will nach Hornheim. Oder auch: Es giebt für mich nur zwei Wege, entweder muß ich verhungern oder nach Hornheim, ein Selbstmörder will ich nicht werden, so will ich nach Hornheim. Ich kann Euch nicht alle Stufen zum völligen Ausbruch erzählen, mündlich wird dieses Thema unerschöpflich sein. In 6–8 Wochen wird uns nichts über sie berichtet, wie soll man diese Spannung ertragen. – – Mit den nothwendigsten versehen kam sie erst dahin. Uebermorgen gehen die letzten Sachen nach. Zwei Tage nach ihrer Abreise erlag ich und war bis vorgestern bett lägrig. – Nun wandere ich wieder umher und sorge für Alle, doch mein Herz, meine Gedanken sind fortwährend und im Traum nur bei ihr, meinem unglücklichen, irren Kinde. Sie wurde namentlich nach der Scheidung stiller und
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