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Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Titel: Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)
Autoren: Jochen Missfeldt
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Kindheitserinnerungen an den Wiener Literaturkritiker Emil Kuh durch einen Filter: Emil Kuh brauchte biographisches Material, um über Storm schreiben und veröffentlichen zu können, er war die Instanz, von der aus Storms Informationen den Weg ins Publikum antraten. Auch die anderen Bilder, die Storm über Eltern und Kindheit entwirft, sind durch verschiedene Filter gegangen: der Erfahrung und des Alters, der Stimmung und der Poesie. Sie sind in verschiedenen Farben gemalt, das Spektrum ist breit und bunt. Einzeln auf die Goldwaage legen sollte man Storms Worte nicht. Insgesamt aber bieten sie Hinweise auf Charakter und Persönlichkeit, auf den »echten«, »authentischen« Storm. Aufschlussreich und bedeutsam sind die Briefe an seine Freunde, an Vater und Mutter, besonders aber die Briefe an seine Frau Constanze und an seine Kinder. Hier bringt er sich ohne stilisiertes Interesse selber zur Sprache, hier finden
wir den bis auf die Seele entkleideten und bis aufs Blut gepeinigten Storm, und man hört heraus: An ihm zerrten narzisstische Kräfte, die ihn zwischen Selbstherrlichkeit und Selbstanklage, Herrschsucht und Demutsgeste, Todesangst und Lebensfreude schwanken ließen. In diesem Schwanken reagierte er besitzergreifend, konnte Menschen, die ihm nahestanden, nicht loslassen, er reagierte überempfindlich, wenn er Widerstand fühlte. Dass diese für Storm charakteristischen Persönlichkeitsmerkmale auch Ausdruck in seinem Werk fanden, ergab sich zwangsläufig. Poesie, so schrieb er am 9. November 1881 an seinen Hamburger Freund Heinrich Schleiden, sei ein concentrirter Spiegel des Lebens.
    Man muss bedenken: Storm wurde in eine Familie hineingeboren, die
sich rasch vergrößerte. Nach ihm brachte Mutter Lucie noch sechs Kinder
zur Welt: Helene (1820–1847), Lucie (1822–1829), Johannes (1824–1906), Otto (1826–1908), Cäcilie (1829–1863), Aemil (1833–1897). Hinzu kamen vermutlich sechs weitere Schwangerschaften, die ein trauriges Ende nahmen. Und das Schicksal meinte es mit den Storm-Schwestern nicht gut: Lucie, die mit Bruder Theodor in einem Bett schlief, starb als Sechsjährige; Helene, ähnlich musikalisch begabt wie Theodor, Lieblingskind von Johann Casimir, starb im Kindbett mit siebenundzwanzig, ihr Neugeborenes folgte ihr ein paar Tage später in den Tod; Cäcilie starb in der Landesirrenanstalt Schleswig.
    Dr. Wülfke, der langjährige Hausarzt der Familie Storm, spricht von der Mutter als von einer früher blühend schönen und trefflichen Frau von kindlichem Gemüthe, die aber an mannigfacher und öfteren Beschwerde von großer Nervenreizbarkeit gelitten habe. Sie sei selten hübsch, noch mit sechsundsiebzig Jahren, bescheinigt ihr der Sohn Theodor; jugendliche Frische der Seele habe sie sich bewahrt, auch ihre Gestalt sei fein und jugendlich und die eigenthümliche Schönheit ihrer graublauen Augen frappirt noch jetzt Jeden, der sie zum ersten Male sieht. Sie hat einen guten klaren Verstand, sehr viel Interesse für Kunst u. Natur, ist aber ohne hervorragende geistige Begabung, schreibt Storm. Dreißig Jahre davor hatte er an seine Verlobte Constanze geschrieben, die Mutter sei bei all ihrem guten thätigen Willen, mir unbequem durch ihren ängstlich behuthsamen Sinn, zumal aber durch ihre zähe langsame Auffassungsgabe . Zärtlichkeit habe nie zwischen der Mutter und ihren Kindern stattgefunden, nur vielleicht zu Aemil , dem jüngsten Kind, teilt er Constanze mit. Er beschreibt auch teilnahmsvoll, dass sie leider an ihrem alten Uebel zu Bett gelegen und Visiten genommen habe. Ebenso teilnahmsvoll berichtet er vom Vater, wie sehr er sich über Mutters Gesundheitszustand quält; er kann des Nachts gar nicht davon schlafen . Storms Verhältnis zum Vater ist zweifellos schwierig gewesen: Im Herzensgrunde sind wir uns gegenseitig so recht durch und durch zuwider, schreibt er, und zwei Monate später: Du glaubst nicht, welche Freundschaft zwischen uns herrscht . Johann Casimir sei galant und liebenswürdig . Andrerseits: gestern Mittag ließ Vater seine Haustyrannenlaunen wieder so an Mutter aus, dass sie nachher stumm und krank die Hände rang . Trotz alledem vergisst Storm nicht seines Vaters Fürsorglichkeit, er betont den Familiensinn der Eltern, kritisiert aber gleichzeitig ihr unerquickliches Verhältnis , das er für die eigene Ehe mit Constanze für ganz ausgeschlossen hält. Voraussetzung für eine Ehe ist für Storm rücksichtslose Offenheit und Freiheit in jeder Beziehung, das ist die
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