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Du findest mich am Ende der Welt

Du findest mich am Ende der Welt

Titel: Du findest mich am Ende der Welt
Autoren: Nicolas Barreau
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antiken Empfangstisch
sitzen, wo sie mit ihrem dunkelgrünen Waterman-Füllhalter, der wie alle
Watermans dazu neigte, zu klecksen, gewissenhaft und mit Tinte an den Fingern
den Namen Charles Bittenärr in das Reservierungsbuch schrieb, und mußte
lächeln.
    Mein Verhältnis zu Bittner war
ambivalent. Eigentlich mochte ich diesen Mann, der etwa zehn Jahre älter war
als ich und mit seinem halblangen dunklen Haar wie ein Südländer wirkte. Im
tiefsten Inneren aber fürchtete ich, gegen ihn schlecht abzuschneiden. Ich
bewunderte seine Konsequenz, sein treffsicheres Gespür, und ich haßte seine
bisweilen unerträgliche Arroganz. Und außerdem beneidete ich ihn um die zwei
Yellow Cabs von Fetting und ein Gemälde von Rothko, die er sein eigen nannte.
    Er stand vor »Unique au Monde«, einem sehr flächigen Bild in Blau-
und Grüntönen, und machte ein Gesicht, als hätte er in eine Zitrone gebissen.
»Ich weiß nicht«, hörte ich ihn zu der dunkelhaarigen Dame, die neben ihm
stand, sagen, »das ist einfach nicht … gut gemacht. Einfach nicht gut gemacht.«
    Karl Bittner spricht fließend französisch, und ich hasse seine
Killersätze.
    Die Dame legte den Kopf schief. »Also, ich finde, es hat was«,
erklärte sie nachdenklich und nahm einen Schluck aus ihrem Champagnerglas.
»Spüren Sie nicht diese … Harmonie? Wie ein friedlicher Zusammenstoß von Land
und Meer. Ich finde es sehr authentisch.«
    Bittner schien zu zögern. »Aber ist es auch innovativ?« entgegnete
er. »Was soll diese Flucht ins Monumentale?«
    Ich beschloß, mich einzuschalten. »Das ist nun mal das Vorrecht der
Jugend – da muß alles groß und kühn sein. Freut mich, daß Sie kommen konnten,
Karl. Wie ich sehe, amüsieren Sie sich.« Ich sah zu der Dame hinüber, die in
ihrem crèmefarbenen Kostüm neben ihm stand. Ihre blauen Augen standen in einem
sensationellen Kontrast zu ihren schwarzen Haaren. » Enchanté! «
Ich deutete eine Verbeugung an.
    Bevor die dunkelhaarige Schönheit etwas erwidern konnte, hörte ich
eine exaltierte Stimme meinen Namen rufen.
    Â»Jean-Duc, ah, Jean-Duc, mon très cher ami! «
Es war Aristide Mercier, Literaturprofessor an der Sorbonne und in seiner
kanariengelben Weste wie immer äußerst elegant, der quer durch den Raum auf
mich zuflatterte. Aristide ist der einzige Mann, den ich kenne, an dem
Kanariengelb vornehm aussieht. Sein Blick streifte einen Moment bewundernd mein
Halstuch, bevor er mir zwei Küsse auf die Wangen platzierte. » Oh, très chic! Ist das Étro?«, fragte er, ohne die Antwort
abzuwarten. »Mein lieber Duc, es ist absolut irre hier, einfach super! «
    Aristides Sprache ist durchzogen von Superlativen und
Ausrufungszeichen, und er bedauert es bis heute zutiefst, daß ich – à son avis – dem »falschen« Geschlecht zugeneigt bin. (»Ein
Mann von deinem Geschmack, es ist ein Jammer!«)
    Â»Schön dich zu sehen, Aristide!« Ich klopfte ihm freundschaftlich
auf die Schulter. Auch wenn aus uns nie ein Paar werden wird, schätze ich
meinen alten Freund Aristide. Er hat einen wunderbaren Humor, und die
Leichtigkeit, mit der er zwischen Literatur, Philosophie und Geschichte hin-
und hertänzelt, verblüfft mich immer wieder aufs neue. Seine Vorlesungen sind
außerordentlich beliebt, Zuspätkommer begrüßt er coram
publico mit Handschlag. Und er hat das Bonmot geprägt, daß es ihm
genügt, wenn seine Studenten aus einer Vorlesung drei Sätze mit nach Hause
nehmen.
    Aristide lächelte. »Wie ich
sehe, habt ihr euch schon miteinander bekannt gemacht? Non? « Er legte einen
Arm um die dunkelhaarige Fremde, die offenbar mit ihm gekommen war. »Das ist
meine liebe Charlotte! – Charlotte, das ist der Herr des Hauses, mein alter
Freund und Lieblingsgalerist – Jean-Luc Champollion.« Er ließ es sich natürlich
nicht nehmen, meinen ganzen Namen zu nennen.
    Die Dunkelhaarige streckte mir
ihre Hand entgegen. Sie war warm und fest. »Champollion?« fragte sie, und ich
wußte schon, was jetzt kam. »So wie der Champollion, der berühmte Ägyptologe, der den
Stein von Rosette …«
    Â»Ja, genau der«, warf Aristide ein. »Ist es nicht großartig?
Jean-Luc ist sogar mit ihm verwandt!«
    Aristide strahlte, Bittner grinste, die Dame, von der ich jetzt
wußte, daß
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