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Dshamila

Dshamila

Titel: Dshamila
Autoren: Tschingis Aitmatow
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neigte den Kopf zur Seite, so tief, daß sich ihr schöner Hals entblößte und ihre in der Sonne rötlich schimmernden Zöpfe fast die Erde berührten. Danijar unterbrach wie zufällig seine Arbeit und folgte ihr mit dem Blick bis zur Tür. Wahrscheinlich glaubte er sich unbeobachtet, doch ich bemerkte alles, und sein Gehabe mißfiel mir mehr und mehr. Ich fühlte mich sogar in gewisser Art beleidigt, denn in meinen Augen stand Dshamila hoch über ihm. Wenn sich selbst der schon in sie vergafft, dachte ich, aus tiefstem Herzen empört, was soll man da von den anderen erwarten? Und in meinem kindlichen Egoismus, den ich noch nicht abgelegt hatte, packte mich eine glühende Eifersucht. Ein Kind ist ja immer auf Fremde eifersüchtig, die sich seinen Angehörigen nähern. Und anstelle des einstigen Mitleids empfand ich jetzt für Danijar Feindseligkeit, so daß es mich freute, wenn sich jemand über ihn lustig machte.
    Doch für Dshamila und mich fanden die Hänseleien, die wir uns vor Danijar herausnahmen, ein jähes Ende. Unter den Säcken, in denen wir das Getreide transportierten, war auch ein übermäßig großer aus grobem Wollgewebe, der sieben Pud faßte. Wir trugen ihn gewöhnlich zu zweit, für einen allein war er zu schwer. Eines Tages kam uns auf dem Druschplatz der Gedanke, Danijar einen Streich zu spielen. Wir luden den großen Sack auf seinen Wagen und stapelten andere darüber. Auf dem Weg zur Bahnstation machten Dshamila und ich bei einem russischen Dorf halt und holten uns in einem Garten eine gehörige Menge Äpfel. Dshamila warf mit den Früchten nach Danijar, und wir lachten während der ganzen Fahrt. Dann überholten wir ihn wie gewöhnlich, und er verschwand in einer Staubwolke. Er holte uns erst hinter der Schlucht beim Bahnübergang ein. Die Schranke war geschlossen. So kamen wir zusammen auf dem Bahnhof an. Den Siebenpudsack haften wir völlig vergessen. Wir dachten erst wieder daran, als das Abladen schon fast beendet war. Dshamila stieß mich übermütig in die Seite und deutete mit dem Kopf auf Danijar. Er stand auf seinem Wagen, betrachtete besorgt den Sack und überlegte offensichtlich, was er mit ihm machen sollte. Dann sah er sich nach allen Seiten um. Als er bemerkte, daß Dshamila ein Lachen unterdrückte, wurde er über und über rot, er begriff, was gespielt wurde.
    „Schnall dir die Hosen fest, sonst verlierst du sie unterwegs!" rief Dshamila.
    Danijar warf uns einen zornigen Blick zu. Ehe wir uns besinnen konnten, hatte er den Sack über die Ladefläche zum Seitenbalken geschleift und auf die Kante gestellt; dann sprang er herab, den Sack mit einer Hand stützend, wälzte ihn sich auf die Schulter und ging los. Anfangs taten wir so, als sei dabei nichts Besonderes. Die anderen rührten sich natürlich erst recht nicht: Da trug ein Mann einen Sack, das tat ja hier jeder. Doch als Danijar den Laufsteg erreichte, lief Dshamila hinter ihm her. „Stell ihn ab! Es sollte doch nur ein Scherz sein!" „Geh weg!" erwiderte Danijar scharf und betrat die Planken.
    „Sieh einer an, er schleppt ihn!" sagt Dshamila, wie um sich zu rechtfertigen. Sie lachte immer noch leise, doch es klang unnatürlich, als zwinge sie sich dazu.
    Wir bemerkten, daß Danijar auf seinem verwundeten Bein stark zu hinken begann. Warum hatten wir bloß nicht vorher an sein Bein gedacht? Bis heute kann ich mir diesen dummen Streich nicht verzeihen, denn ich Narr hatte ihn ausgeheckt. „Kehr um!" schrie Dshamila. Ihr Lachen war verstummt.
    Doch das konnte Danijar nicht mehr, hinter ihm gingen schon andere.
    Ich erinnere mich nicht genau an alles, was weiter geschah. Gebückt unter dem riesigen Sack, den Kopf tief gesenkt und die Zähne in die Unterlippe gepreßt, schritt Danijar langsam voran, das verwuadete Bein vorsichtig aufsetzend. Wenn er es belastete, empfand er offensichtlich einen so heftigen Schmerz, daß er jedesmal mit dem Kopf zuckte und sekundenlang wie betäubt innehielt. Und je weiter er den Laufsteg hinauf stieg, desto stärker schwankte er von einer Seite auf die andere. Der Sack riß ihn hin und her. Der Anblick war mir so furchtbar, und ich schämte mich so sehr, daß mir ganz trocken in der Kehle wurde. Starr vor Entsetzen, fühlte ich mit Leib und Seele die Schwere seiner Last und den unerträglichen Schmerz in seinem Bein nach. Jetzt riß es ihn wieder zur Seite, er schüttelte den Kopf, vor meinen Augen drehte sich alles, es wurde dunkel um mich, und der Boden schwankte unter meinen
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