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Dritte Halbzeit: Eine Bilanz (German Edition)

Dritte Halbzeit: Eine Bilanz (German Edition)

Titel: Dritte Halbzeit: Eine Bilanz (German Edition)
Autoren: Waldemar Hartmann
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2006 in Turin habe ich meinen Original-Schülerpass bekommen, von einem BR -Redakteur, der dort in der Altherrenmannschaft spielt. Als ich zum ersten Mal im Bayerischen Fernsehen aus der Glotze herausschaute, hat man sich bei Johannis erinnert, dass ich dort einmal gespielt habe, und irgendwer hat den Ausweis ausgegraben. Seit dem machte dieses wahrhaft historische Dokument die Runde.
    Beim Turnerbund gab es zwei Schülermannschaften, die Besseren und die nicht ganz so Guten. Letztere bildeten die zweite Mannschaft, und in der war ich drin. Ich war Stürmer, eher schmächtig und somit in keinster Weise auf dem Weg, eine mittelfränkische Ausgabe von Gerd Müller zu werden. Mein größtes Erlebnis war, als eines Tages die zweite Schülermannschaft vor der ersten spielte – und ich so gut gekickt habe, dass ich danach in der ersten auch noch mitspielen durfte. Ein unfassbarer Triumph, mindestens so viel wert wie später ein Lob vom Intendanten. Obwohl – viel besser als ein Lob vom Intendanten, sowohl qualitativ als auch quantitativ. Da war ich unglaublich stolz. Auch wenn es nur daran lag, dass in der ersten Mannschaft kurzfristig einer ausgefallen war. Trotzdem: Zum Helmut Rahn reichte es nicht – und zum Toni Turek auch nicht. Dennoch stand ich irgendwann bei der ersten Mannschaft im Tor, weil ein Torwart fehlte.
    Und dann wurde es plötzlich sehr interessant in der Kindheit des jungen Waldemar. Gut zwanzig Jahre vor Niki Lauda hatte mein Vater genug davon, immer nur im Kreis zu fahren. Er bewarb sich als Hausmeister am Neuen Humanistischen Gymnasium am Luitpoldhain – und bekam die Stelle. Das war dann nicht mehr Milbertshofen, um es mit Münchner Maßstäben zu messen – das war Grünwald! Oder zumindest Bogenhausen. Die feine Gegend am anderen Ende der Stadt, am Dutzendteich in der Nähe des Stadions. Die Schule war ein Neubau und die Hausmeisterwohnung ein Bungalow am Rande des Schulhofs, abgetrennt durch einen Garten. Waldi aus dem Glasscherbenviertel war angekommen im Paradies. Was für ein Aufstieg! Doch in die Schule meines Vaters wollte ich nicht gehen, auch wenn es praktisch gewesen wäre. Also besuchte ich ab der fünften Klasse das Realgymnasium, so hieß es damals, das heutige Willstätter-Gymnasium.
    Auf dem humanistischen Gymnasium, wo jetzt mein Vater herrschte, hätte ich Latein und Griechisch gehabt – und ich kam schon mit Latein nicht besonders zurecht. Obwohl ich in der Volksschule wirklich nur Einser hatte und es ohne Wei teres aufs Gymnasium geschafft hätte. Aber das wäre mir viel zu nah bei meinem Vater gewesen. Da hätte mein alter Herr gnadenlos alles unter Kontrolle gehabt mit direktem Zugriff auf mich. Eine kleine Schwindelei wie »Keine Hausaufgaben heute« hätte ich mir von vornherein abschminken können, die Geschichte wäre in einer Minute entlarvt gewesen. Vater und Sohn an einer Schule war keine gute Idee, so viel war mir schon in diesem Alter klar.
    Mein Lebensweg wäre vielleicht ein ganz anderer geworden, wäre ich auf das Gymnasium gegangen, an dem mein Vater Pedell war, wie die damalige Bezeichnung lautete, die viel imponierender klingt als heute Hausmeister. Denn meinem Vater war es egal, wer unter ihm Schuldirektor war. Bei ihm hieß es: Ich und der Herr Direktor haben entschieden! Und zwar exakt in der Reihenfolge. Und so wehrte ich mich mit Händen und Füßen gegen eine Gymnasiumskarriere. Und weil das Gymnasium auch noch Schulgeld gekostet hätte, war ein Argument mehr auf meiner Seite.
    Ich glaube, meinen Eltern wäre es ohnehin lieber gewesen, ich wäre ganz normal weiterhin auf die Volksschule gegangen und hätte danach etwas Gescheites gelernt. Sie waren brave Leute vom Land, meine Mutter Margaretha aus der Ober pfalz, mein Vater Franz aus Oberfranken, der Krieg hatte sie in Nürnberg zusammengeführt.
    Das Realgymnasium passte besser zum jungen Waldemar. Und es ist außerdem einem meiner frühen Talente entgegengekommen, denn ich war, man muss es so sagen, ein begnadeter Ausredenerfinder und Geschichtenerzähler. Ich habe geflunkert, dass sich die Balken bogen, wenn es darum ging, was ich in der Schule so trieb. Ich habe die Unterschriften meiner Eltern unter Verweisen gefälscht – alles konnte ich zwar nicht abfangen, aber immerhin das meiste.
    Und warum? Weil mir diese Schule gestunken hat. Weil mir zwei, drei Lehrer diese Zeit vermiest haben, vor allem der Lateinlehrer Ahlborn, der ein Despot war. Der hatte aus dem Krieg ein Holzbein zurückbehalten und
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