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Dritte Halbzeit: Eine Bilanz (German Edition)

Dritte Halbzeit: Eine Bilanz (German Edition)

Titel: Dritte Halbzeit: Eine Bilanz (German Edition)
Autoren: Waldemar Hartmann
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Wand, die aber, wie sich herausstellte, gar keine Wand war, sondern nur ein Vorhang. Ohne Vorwarnung fliege ich in die Tiefe, liege mit einem doppelten Oberarmbruch da unten, bis man mich wieder nach oben schafft. Die Diskussion habe ich noch durchgezogen, aber es hat die ganze Zeit höllisch wehgetan. Der Franz befahl mir nach der Veranstaltung: »Spezl, du bist kasweiß, du fährst jetzt sofort ins Krankenhaus.« Operieren wollten sie mich dort vorerst nicht, erst einmal konservative Behandlung und Schlinge.
    Ich konnte nicht einmal mehr mein Hosentürl aufmachen, bin trotzdem später zum gemeinsamen Essen, wo der Franz zu meiner Frau sagte: »Des sog i da glei, jetzt werd a grantig. Madl, jetzt muasst ganz stark sei.« Das musste sie auch. Denn ein paar Tage später liege ich beim Länderspiel auf der Couch, unter Schmerzen (wenn ich leide, dann richtig!) – und Petra entdeckt an meinem Bein ein Riesen-Hämatom, von dem ich vor lauter Schmerzen am Arm nichts gespürt habe. Ich habe erst mal nichts unternommen und mir gesagt, das wird schon wieder.
    Und ein paar Tage später am Pfingstsonntag wird das Ding plötzlich dick. Es explodiert regelrecht, innerhalb einer halben Stunde. Mein Schwiegervater, als Zahnarzt einigermaßen fachkundig, verfrachtet mich ins Auto, ab ins Krankenhaus, sofort Not- OP – es war ein Kompartmentsyndrom, eine bakterielle Blutvergiftung, lebensgefährlich, wenn es nicht rechtzeitig behandelt wird. Die Ärzte haben mir gesagt: Zwei Stunden später hätten sie mir den Unterschenkel amputieren müssen. Das Gute war: Irgendwann hat sich am Stationstelefon ein gewisser Herr Beckenbauer gemeldet, der sich nach meinem Befinden erkundigen wollte. Von diesem Moment an haben mich die Ärzte und Schwestern viel wichtiger genommen als davor. Die Wirkung des Kaisers ist nach wie vor magisch.

2
    DICH HÄTTE ICH GERNE JEDES MAL DABEI
    Meine ersten öffentlichen Auftritte
    Meinen ersten richtigen Auftritt hatte ich am 10 . März 1948 in Nürnberg. Die Zuschauerzahl war äußerst überschaubar, Kameras gab es keine. Dennoch war die Begeisterung groß, und insofern war mein Debüt durchaus ein Publikumserfolg.
    Wir wohnten im Glasscherbenviertel Gibitzenhof im Nürnberger Süden. In München könnte man das mit Milbertshofen vergleichen, ein klassisches Arbeiterviertel eben. Direkt neben unserem Haus lag die Volksschule, auf die ich die ersten zwei, drei Jahre gegangen bin. In der Zeit feierte ich auch meine Erstkommunion, und zwar bei den Franziskanern in der St. Ludwigskirche. Dort gab es für mich zwei große Bs: die Bibel und den Ball. Pater Dominik werde ich nie vergessen – denn er spielte Fußball mit uns, in der Kutte, mit Sandalen, und er hat sich reingehängt wie der Teufel. Ein katholischer Briegel. Die Franziskaner, das war ein Stück Heimat für mich.
    Doch mit Fußball hatte eines der frühen Erfolgserlebnisse, an die ich mich erinnern kann, rein gar nichts zu tun: Mein Vater Franz stieg vom Straßenbahnschaffner, mit dem Klingelbeutel um den Bauch, zum Straßenbahnfahrer auf. Straßenbahnfahrer – das war für mich die Champions League unter den Berufen, die ein Vater haben konnte. Ich bin fast geplatzt vor Stolz. Wenn ich mich heute an die Fünfzigerjahre erinnere, bleiben zwei prägende Erlebnisse: Wir wur den Weltmeister – und mein Vater durfte Straßenbahn fahren. Auf dem Fußballfeld war Helmut Rahn der Boss, aber im Füh rerstand war es Franz Hartmann.
    Unsere Wohnung befand sich im Parterre eines vom Krieg noch schwer mitgenommenen Hauses, direkt an der Hauptstraße – und vor allem direkt an der Straßenbahnhaltestelle. Wenn mein Vater auf dieser Linie Dienst hatte, es muss die 4 gewesen sein oder die 21 , ist er ständig bei uns vorbeigefahren. Wir kannten den Fahrplan auswendig, wir wussten genau, wann der Vater wieder vorbeikam. Deshalb war Straßenbahnfahrer für mich noch viel besser als Lokführer. Denn ein Lokführer fährt nie triumphal an seinem eigenen Haus vorbei.
    Meine ehrenvolle Aufgabe war es, ab und zu meinen Vater an der Haltestelle mit einem Krug Bier zu versorgen – damals hat man das Bier noch im Krug vom Wirtshaus geholt. Damit es im Führerstand wieder läuft wie geschmiert. Im Krug waren drei Quartel Bier drin, also 0 , 75 Liter. Denn von einer vollen Maß hätte ich auf dem Weg zur Haltestelle eh nur die Hälfte verschüttet.
    Das funktionierte dann so: Mein Vater ist mit seiner Straßenbahn bei uns vorbeigerumpelt, hat laut geklingelt und gerufen:
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