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Dringernder Verdacht

Dringernder Verdacht

Titel: Dringernder Verdacht
Autoren: Sue Grafton
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herauszubekommen. Er rief weiter zu jeder Tagesund
Nachtzeit an. Sie kaufte sich einen Anrufbeantworter. Er rief an und blockierte
die Leitung, bis das Tonband abgelaufen war. Sie erzählte Freunden, sie fühle
sich belagert.
    Unterdes hatte er sich ein Haus im
selben schicken Teil von Horton Ravine gemietet. Wenn sie aus dem Haus ging,
folgte er ihr. Wenn sie zu Hause war, parkte er auf der anderen Straßenseite,
um durch ein Fernglas genauestens zu beobachten, wer wann aus- und einging:
Besucher, Handwerker, die Haushaltshilfe. Isabelle benachrichtigte die Polizei.
Sie erstattete Anzeige. Schließlich erwirkte ihr Anwalt eine einstweilige
Verfügung, die ihm jede telefonische und schriftliche Kontaktaufnahme sowie
jeden Aufenthalt im Umkreis von zweihundert Metern um ihre Person, ihr Haus und
ihr Auto untersagte. Seine Entschlossenheit schien tatsächlich gebrochen, aber
inzwischen hatte die ständige Verfolgung Wirkung gezeigt: Isabelle hatte Angst.
    Um die Weihnachtszeit war sie ein
nervliches Wrack. Sie aß kaum, schlief schlecht, litt unter übersteigerter
Nervosität, Panikattacken, Zittern. Sie war blass und abgemagert. Sie trank zu
viel. Es regte sie auf, Menschen um sich zu haben, und es machte ihr Angst,
allein zu sein. Sie schickte die vierjährige Shelby zu ihrem Vater. Ken Voigt
hatte wieder geheiratet, obgleich einige Zeugen meinten, er habe die Scheidung
von ihr nie wirklich verwunden. Isabelle nahm Beruhigungsmittel, um über den
Tag zu kommen. Abends schluckte sie Schlaftabletten. Schließlich gelang es den
Seegers, sie dazu zu bewegen, ihre Koffer zu packen und ein paar Tage mit ihnen
nach San Francisco zu fahren. Als sie auf dem Weg nach Santa Teresa waren, um
sie abzuholen, streikte die elektronische Einspritzpumpe ihres Wagens. Sie
riefen an und hinterließen die Nachricht, dass sie sich verspäten würden.
    Von Mitternacht bis ca. 0 Uhr 45 führte
Isabelle, nervös und aufgeregt wegen der bevorstehenden Reise, ein längeres
Telefongespräch mit einer alten College-Freundin, die jetzt in Seattle lebte.
Kurz danach hörte sie ein Klopfen an der Haustür. Sie ging nach unten, in der
Annahme, die Seegers seien eingetroffen. Sie war vollständig angezogen und
rauchte eine Zigarette. Ihr Gepäck stand in der Diele parat. Sie knipste das
Licht draußen vor der Tür an und spähte durch den Spion, ehe sie öffnete. Statt
in die Gesichter ihrer Freunde sah sie in den Lauf der Achtunddreißiger, die
ihr das Leben auslöschte. Die Seegers kamen um 2 Uhr 20 an und stellten fest,
dass einiges nicht stimmte. Sie alarmierten Isabelles Schwester, die in einem
kleinen Häuschen auf demselben Grundstück wohnte. Sie ließ sie mit ihrem
Schlüssel durch den Hintereingang hinein. Die Alarmanlage rings um das Haus war
eingeschaltet. Als sie Isabelle fanden, riefen die Seegers sofort die Polizei.
Beim Eintreffen des Gerichtsmediziners war Isabelles Körpertemperatur auf 36,7°
abgesunken. Nach der Moritz’schen Formel, unter Einbeziehung der Temperatur in
der Diele, ihres Körpergewichts, ihrer Kleidung sowie der Temperatur und
Leitfähigkeit des Marmorbodens, auf dem sie lag, setzte der Gerichtsmediziner
den Todeszeitpunkt grob zwischen ein und zwei Uhr an.
    Am nächsten Mittag wurde David Barney
verhaftet und wegen Mordes unter Anklage gestellt. Er erklärte sich für
unschuldig. Bereits zu diesem frühen Zeitpunkt war klar, dass das
Belastungsmaterial gegen ihn sich im Großen und Ganzen auf Indizien
beschränkte. Nun sind jedoch im Staat Kalifornien für die beiden entscheidenden
Momente eines Tötungsdelikts — den Tod des Opfers und das Vorliegen einer
»kriminellen Einwirkung« — sowohl direkte als auch indirekte Beweise zulässig. Mord
ersten Grades kann auch festgestellt werden, wenn keine Leiche gefunden, kein
direkter Todesnachweis erbracht werden kann und kein Geständnis vorliegt. David
Barney hatte einen Ehevertrag unterschrieben, der seine finanzielle Abfindung
im Scheidungsfall einschränkte. Zudem war er der Hauptbegünstigte der
verschiedenen Lebensversicherungen, und als Isabelles Witwer erbte er den
gemeinsamen Anteil der Firma, der auf zweikommasechs Millionen Dollar geschätzt
wurde. David Barney hatte für die Tatzeit kein stichfestes Alibi. Dink Jordan
hielt die Beweislage für mehr als ausreichend.
    Aber nach drei Verhandlungswochen,
einem sechsstündigen Schlussplädoyer und zwei Tagen Beratung erkannten die
Geschworenen auf Freispruch. David Barney verließ den Gerichtssaal nicht
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