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Dringernder Verdacht

Dringernder Verdacht

Titel: Dringernder Verdacht
Autoren: Sue Grafton
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der Strafkammer freigesprochen worden, was macht
es also schon aus, was er jetzt sagt? Aber er kriegt den Mund nicht auf. Sperrt
sich. Und warum? Weil er weiß, dass er schuldig ist. Ach, und dann noch das
hier. Floren Sie sich das an. Da taucht auf einmal ein Mann bei Ken auf...
stellt sich raus, dass er mit David Barney in der Zelle gesessen hat. Der
Bursche hat den Fall verfolgt. Er hat sich den Prozess angeguckt, nur so, um
mitzukriegen, wie die Sache ausgeht, und jetzt erzählt er uns plötzlich, dass
Barney den Mord so gut wie zugegeben hat, kaum dass er aus der Tür des
Gerichtssaals war. Es hat uns Mühe gekostet, den Mann ausfindig zu machen,
deshalb will ich, dass er als allererster vorgeladen wird.«
    »Was soll das bringen?«, fragte ich.
»David Barney kann doch nicht noch mal wegen Mordes vor Gericht gestellt
werden.«
    »Richtig. Und deshalb schnappen wir ihn
uns jetzt von der zivilrechtlichen Seite. Da ist er viel besser zu packen, und
das ist ihm auch verdammt klar. Der Kerl stellt sich quer, wo er nur kann. Wir
reichen einen Antrag ein. Er hat dreißig Tage Frist, um zu reagieren. Was tut
sein infamer Lump von einem Anwalt? Wartet bis zum neunundzwanzigsten Tag und
legt dann Einspruch ein. Alles nur, um Zeit zu schinden. Er wirft uns Steine in
den Weg, wo er kann.
    Wir laden Barney zur Aussage vor, und
er beruft sich auf den Schutz vor Selbstbezichtigung nach dem fünften
Zusatzartikel. Wir lassen ihn vorführen. Der Richter weist ihn an auszusagen, weil er keine Rechte aus dem fünften Zusatzartikel hat. Es besteht keine
Gefahr einer Anklageerhebung, weil ja das Verbot der doppelten Strafverfolgung
gilt. Also versuchen wir noch einmal, unsere Aussage zu bekommen. Prompt kommt
er uns wieder mit dem fünften Zusatzartikel. Wir könnten ihn wegen Missachtung
eines Gerichtsbefehls drankriegen, aber inzwischen läuft die Verjährungsfrist
ab...«
    »Lonnie?«, sagte ich.
    »Wir rackern uns ab, und es kommt
nichts dabei raus. Die Fünfjahresfrist ist demnächst um, und es muss endlich
etwas passieren. Wir stehen auf der Dringlichkeitsliste und werden vorgezogen,
und ausgerechnet jetzt fällt Morley tot um —«
    »Looonnnie«, sang ich.
    Er hielt inne.
    »Sagen Sie mir einfach nur, was Sie
brauchen, und ich beschaffe es Ihnen.«
    Lonnie lachte und warf seinen Bleistift
nach mir. »Das ist es, was ich an ihr mag. Kein langes Gefackel«, sagte er zu
Voigt. Er schob den Aktenberg zu mir herüber. »Da ist alles, was wir haben,
wenn auch ein bisschen chaotisch. Ganz obenauf liegt ein Verzeichnis — vergewissern
Sie sich erst einmal, dass alles irgendwo vorhanden ist, ehe Sie an die Arbeit
gehen. Wenn Sie das Wesentliche kapiert haben, können wir überlegen, wo noch
Löcher sind. Aber jetzt sollten Sie beide sich erst mal ein bisschen kennen
lernen. Sie werden in den nächsten vier Wochen viel miteinander zu tun haben.«
    Voigt und ich lächelten Lonnie höflich
an, ohne einander anzusehen. Er schien von dieser Aussicht kaum begeisterter
als ich.
     
     
     

2
     
    Ich hockte noch bis Mitternacht an
meinem Schreibtisch. Die gesammelten Unterlagen zum Fall Isabelle Barney
quollen aus den beiden Pappkartons, die je über vierzig Pfund wogen. Ich hob
mir fast einen Bruch, als ich die Dinger aus Lonnies Büro in meines schleppte.
Es war sowieso nicht möglich, das ganze Material in einem Rutsch
durchzuarbeiten, also, dachte ich, konnte ich mir ebenso gut Zeit lassen.
Lonnie hatte nicht übertrieben, als er sagte, die Unterlagen seien chaotisch.
Laut Verzeichnis hätte der erste Karton Kopien der Polizeiprotokolle, die
Strafprozess-Protokolle, Lonnies Klageschrift an die Zivilkammer des Bezirksgerichts
von Santa Teresa, sämtliche Einwendungen, Antwortschreiben und Gegeneinreden
enthalten müssen. Ich konnte nicht einmal sicher sein, dass die
Prozessprotokolle vollständig waren. Was ich an Aktenähnlichem sichtete, war
ein solches Sammelsurium, dass es eine Strapaze war, überhaupt etwas zu finden.
    Der zweite Karton barg angeblich Kopien
sämtlicher Berichte von Morley Shine, eidesstattliche Versicherungen,
Protokolle der zahllosen Zeugenaussagen sowie stützendes Material. Na,
wunderbar. Ich fand die Namen der Zeugen, mit denen Morley gesprochen hatte, in
den Aufstellungen zu den Rechnungen, die er Lonnie seit dem ersten Juni
monatlich vorgelegt hatte, aber die dazugehörigen schriftlichen Berichte waren
nicht vollständig vorhanden. Offensichtlich hatte er etwa die Hälfte der
Zeugenladungen für den
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