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Dringernder Verdacht

Dringernder Verdacht

Titel: Dringernder Verdacht
Autoren: Sue Grafton
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normalerweise tagsüber weg bin, mache ich die
Hausarbeit oft abends. Es kommt schon mal vor, dass ich um Mitternacht Staub
sauge oder um zwei Uhr morgens einkaufen gehe. Da ich allein lebe, ist es
einfach, die Wohnung einigermaßen in Ordnung zu halten, aber alle drei, vier
Monate veranstalte ich einen systematischen Rundum-Putz, wobei ich in Etappen
vorgehe. In dieser Nacht lag ich, obgleich ich sogar noch die Küche schrubbte,
um eins im Bett.
    Am Dienstagmorgen wachte ich um sechs
auf. Ich zog meinen Jogging-Anzug an und schnürte meine Nikes mit einer
Spezial-Doppelschleife zu. Ich putzte mir die Zähne, klatschte mir ein wenig
Wasser ins Gesicht und fuhr mit nassen Fingern durch mein platt gedrücktes
Haar. Mein Joggen war ziemlich mechanisch, mehr Form als Inhalt, aber danach
hatte ich wenigstens ein paar Energien mobilisiert. Ich nutzte die Zeit, um
mich auf den Tag einzustimmen, eine Art Bewegungs-Meditation, die ebenso dem
Sammeln meiner Gedanken wie der Koordination meiner Gliedmaßen diente. Mir war
dunkel bewusst, dass ich in letzter Zeit nicht sonderlich gut auf mich
aufgepasst hatte... eine Kombination aus Stress, unregelmäßigem Schlaf und zu
viel Junk-Food. Höchste Zeit, mich wieder auf Vordermann zu bringen.
    Ich duschte und zog mich an, aß ein
Schüsselchen Müsli mit Magermilch und fuhr wieder in mein Büro.
    Als ich an Ida Ruths Schreibtisch
vorbeikam, blieb ich stehen, um ein bisschen mit ihr über ihr Wochenende zu
plaudern, das für gewöhnlich aus Wandertouren, Geländeritten und
haarsträubenden Kletterpartien bestand. Ida Ruth ist fünfunddreißig und
unverheiratet, eine robuste Vegetarierin mit windzerzaustem Blondhaar und
sonnengebleichten Brauen, breiten Wangenknochen und einem durch kein Make-up
gedämpften rötlich-frischen Teint. Obgleich immer gut angezogen, wirkt sie
doch, als trüge sie am liebsten Flanellhemden, Hosen und Wanderstiefel. »Wenn
Sie Lonnie sprechen wollen, flitzen Sie besser gleich rein. Er hat in zehn
Minuten einen Gerichtstermin.«
    »Danke. Mach ich.«
    Ich fand ihn an seinem Schreibtisch. Er
hatte das Jackett abgelegt und die Hemdsärmel aufgerollt. Sein Schlips saß
schief, und sein Zottelhaar stand von seinem Kopf ab wie überfälliger Weizen.
Durch die Fenster hinter ihm sah ich blauen Himmel und zartlilagraue Berge im
Hintergrund. Es war ein herrlicher Tag. Ein dichtes Geranke von leuchtend
magentaroten Bougainvillea überzog eine weiße Backsteinmauer zwei Häuser
weiter.
    »Wie steht’s?«, fragte er.
    »Ganz gut. Ich bin noch nicht ganz
durch mit den Kartons, aber es scheint mir alles ziemlich chaotisch.«
    »Na ja, Ablage war nie Morleys starke
Steite.«
    »Frauen können so was von Natur aus
viel besser«, sagte ich trocken.
    Lonnie lächelte, während er sich etwas
notierte, wahrscheinlich zu dem Fall, mit dem er gerade beschäftigt war. »Wir
sollten mal übers Geld reden. Wie ist Ihr Stundensatz?«
    »Was hat Morley berechnet?«
    »Die üblichen fünfzig«, sagte er
locker.
    Er hatte ein Schubfach aufgezogen und
kramte in seinen Akten, so dass er mein Gesicht nicht sehen konnte. Morley
hatte fünfzig gekriegt? Unglaublich. Entweder waren Männer unverschämt oder
Frauen doof. Was wohl?, dachte ich. Ich hatte immer dreißig Dollar pro Stunde
plus Kilometergeld genommen. Aber ich fasste mich rasch. »Legen Sie fünf drauf,
und ich berechne keine Fahrtkosten.«
    »In Ordnung«, sagte er.
    »Irgendwelche Instruktionen?«
    »Sie haben freie Hand. Carte Blanche.«
    »Im Ernst?«
    »Absolut. Sie können es angehen, wie
Sie wollen. Solange Sie keine krummen Sachen machen«, setzte er schnell hinzu.
»Nichts wäre Barneys Anwalt lieber, als uns nachzuweisen, dass wir
irgendwelchen Dreck am Stecken haben. Also keine unfeinen Tricks.«
    »Das macht ja gar keinen Spaß.«
    »Aber es garantiert, dass Sie vor
Gericht aussagen können, ohne aus dem Saal zu fliegen, und darauf kommt es an.«
    Er sah auf seine Uhr. »Ich muss los.«
Er schnappte sich sein Jackett vom Bügel und schlüpfte hinein. Er rückte seinen
Schlips gerade, schloss seine Aktenmappe und war schon halb aus der Tür.
»Lonnie, Moment noch. Womit soll ich anfangen?«
    Er lächelte. »Treiben Sie einen Zeugen
auf, der den Kerl am Tatort gesehen hat.«
    »Oh, na klar«, sagte ich in den leeren
Raum.
    Ich setzte mich hin und las weitere
fünf Pfund ungeordneter Informationen. Vielleicht konnte ich ja Ida Ruth
bezirzen, mir beim Sortieren der Unterlagen zu helfen. Verglichen mit dem
zweiten war der
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