Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Drachensturm

Titel: Drachensturm
Autoren: Torsten Fink
Vom Netzwerk:
führte Qupay genüsslich aus.
    » Aber …«, stammelte Kemaq, der nicht wusste, ob er nun unglücklich oder wütend werden sollte. Er war sich plötzlich im Klaren darüber, dass Qupay sich nicht ganz uneigennützig für ihn einsetzte. Die Torläufer – es gab an jedem der beiden Tore vier – waren die angesehensten Chaski. Wessen Glanz sollte hier wohl auf wen abfärben?
    Jatunaq beugte sich jetzt zu ihm herüber und schlug ihm kräftig auf die Schulter. » Es wird auch langsam Zeit, dass du uns Ehre machst, kleiner Bruder.«
    Kemaq wollte niemandem Ehre machen, nicht einmal seinen Brüdern. Er wollte nicht in Palästen oder Tempeln aus und ein gehen. Er wollte nur laufen, nichts weiter. Dass seine Brüder das einfach nicht verstehen konnten!
    » Jedenfalls hat dein Meister auch gesagt …«, fuhr Qupay fort und verstummte dann plötzlich. Die Unruhe in den Straßen war größer geworden. Lautes Geschrei stieg über den Häusern auf. » Hört ihr das?«, fragte er beunruhigt.
    Jatunaqs Hand fuhr an den Gürtel, an dem er für gewöhnlich seinen schweren Streitkolben trug, doch in der Stadt hatte er ihn abgelegt. Schlurfende Schritte näherten sich. Alle drei starrten auf die Hausecke. Dort erschien jetzt die alte Mocto. Kemaq hatte gar nicht bemerkt, dass sie verschwunden war. An einem Riemen trug sie zwei Kürbisflaschen. Also hatte sie doch erst Wasser geholt, nachdem er sie vorhin gefragt hatte. Jetzt war ihr verwittertes Gesicht noch eine Spur grimmiger als sonst.
    » Was ist das für ein Geschrei in den Straßen, Mutter Mocto?«, fragte Jatunaq.
    » Seid ihr taub, ihr Söhne Himaqs? Hört ihr nicht, dass sie Feuer, Feuer rufen?«
    Sie erhoben sich von ihren Plätzen. Kemaq stieg auf die niedrige Mauer, die die Häuser ihrer Gemeinschaft umgab. Die Stadt lag im Dunkeln.
    » Ich rieche nichts«, stellte Jatunaq fest. » Wenigstens keinen Rauch.«
    Die Alte war einfach weitergeschlurft. Jetzt stand sie am Eingang ihrer Hütte, drehte sich noch einmal um und sagte: » Ihr Dummköpfe. Glaubt ihr, ich schlendere gemütlich zum Brunnen und zurück, wenn es in Tikalaq brennt? Es ist die Stadt Chan Chan, die in Flammen steht! Das ist das Ende! Wie es vorhergesagt war!«
    » Vorhergesagt?«, fragte Jatunaq, und der große Krieger wirkte plötzlich verunsichert.
    » Das Ende des Sonnenvolkes«, sagte Mocto trocken. » Es wird nun endlich wahr.«
    Mila klammerte sich an den Sattel, und sie hörte das lederne Geschirr unter dem Gewicht der drei Reiter knirschen. Der Wind zerrte an ihrem Umhang. Für einen Augenblick war er so stark, dass er den Lärm, der aus der Stadt drang, verwehte. Diese Ruhe war jedoch nur von kurzer Dauer, dann umfing sie wieder das Geschrei der Seevögel, von denen sie tausende aufgescheucht haben mussten.
    » Nach links, Marduk, dieser Tempel dort!«, rief ihr Großonkel, der Hochmeister, der vor ihr auf dem Rücken des Drachen saß. Der Drache knurrte kurz, und Mila spürte, wie er die Flügel anlegte und in elegantem Winkel nach links abtauchte. Sie wurden schneller. Sie hörte ein tiefes Grollen aus der Kehle des Drachen. Sie wusste, was nun gleich folgen würde. Bislang hatten sie sich zurückgehalten, Marduk war hoch in der Luft geblieben, damit der Hochmeister den Angriff koordinieren konnte. Doch offenbar war ihr Großonkel der Meinung, dass er nun eingreifen musste. Brandgeruch hing in der Luft. Sie hörte dünne Schreie, die aus der Stadt aufstiegen. Etwas prasselte gegen die eiserne Rüstung des Hochmeisters, und dann streifte ein Geschoss ihren Arm. Die Männer dort unten waren tapfer, wenn sie einem angreifenden Drachen ihre armseligen Pfeile entgegenschickten, statt davonzurennen. Plötzlich legte sich Marduk mit einer schnellen Bewegung auf die Seite und ließ mit heiserem Fauchen seinen Flammenstrahl los. Selbst Milas blinde Augen nahmen den Widerschein des Feuers wahr. Jetzt schrien Männer auf. Todesschreie. Mila drückte sich schaudernd dichter an ihren Onkel. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, unbedingt bei dieser Schlacht dabei sein zu wollen?
    Die Schreie verfolgten sie, als sie ihr Angriffsziel hinter sich ließen. Mila spürte die Hitze, die von den brennenden Hütten aufstieg. Sie versuchte sich vorzustellen, was dort unten vor sich ging: das schreckliche Chaos, das ihr Angriff anrichtete, die verängstigten Menschen, die einen Blick gen Himmel warfen und dann diesen riesigen schwarzen Schatten über ihre Stadt gleiten sahen. Aber die Schreie waren dünn, vereinzelt.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher