Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Drachensturm

Titel: Drachensturm
Autoren: Torsten Fink
Vom Netzwerk:
Nachricht aus dem Tal kam. Selbst die schnellsten Läufer würden Zeit brauchen, und er fragte sich, ob in der dort unten herrschenden Not überhaupt jemand daran gedacht hatte, den Chaski eine Nachricht aufzugeben. Was mochte nur die Ursache für diese Feuer sein? Ein Feind? Der Krieg gegen Huáscar war doch zu Ende. Und wo sollte der Feind hergekommen sein und wie sich unbemerkt der Stadt genähert haben? Nein, kein Heer bewegte sich durch Tawantinsuyu, ohne dass die Chaski davon erfuhren. Ein Aufstand vielleicht? Die Chimú, das Muschelvolk, waren doch schon vor vielen Jahren von den Inka unterworfen worden, wie alle anderen Völker, warum sollten sie sich ausgerechnet jetzt erheben? Und was hatte es mit dem Pachakuti auf sich, das dieser überhebliche Mann vom Sonnenvolk erwähnt hatte? Kemaq seufzte. Wenn dort unten gekämpft wurde – und den Gerüchten zufolge, die durch die Nacht schwirrten, war das die wahrscheinlichste Erklärung für die Brände –, dann mochte es sein, dass die Kette der Chaski unterbrochen war. Er runzelte die Stirn, denn ihm wurde klar, wie wahrscheinlich das war. Ein Feind würde doch als Erstes dafür sorgen, dass niemand durch die Läuferkette schnell erfuhr, was vor sich ging, und wenn sie die Chaskiwasi überfielen und zerstörten, dann wäre dieses Ziel erreicht. Wäre er der Meister der Läufer, dann würde er eigene Boten oder Späher hinabschicken, sonst würden sie vielleicht nie erfahren, was dort vor sich ging. Er seufzte, denn der jetzige Meister der Läufer war kein Mann, der eigene Einfälle hatte. Aber er konnte ihm dabei vielleicht helfen! Kemaq löste seinen Blick von dem unheimlichen Schauspiel in der Ferne und lief zurück zur Stadt. Er würde mit seinem Meister reden.
    Sein erster Weg führte ihn zum Haus der Läufer, das unweit von Tempel und Palast lag. Er kannte die beiden Chaski, die dort auf Befehle warten, nur flüchtig. Sie liefen unruhig vor dem Haus auf und ab und fragten ihn neugierig aus, denn natürlich hatten sie ihren Posten nicht verlassen dürfen und alle Neuigkeiten über die brennende Stadt bisher nur aus zweiter Hand erfahren. Sie waren enttäuscht, weil auch Kemaq nichts Näheres wusste. Er hörte von ihnen, dass ihr Meister weder im Haus der Läufer noch im Palast, sondern im Tempel war, denn Ollamac, der alte Curaca der Stadt, war ebenfalls dort. » Es scheint, dass die Priester wissen, was vor sich geht, oder wenigstens wissen sie mehr als wir«, meinte der jüngere der beiden Chaski. Der Tempel – kein Ort, den Kemaq gerne besuchte. Aber seine Neugier war zu groß. Also machte er sich, mit sehr gemischten Gefühlen, auf den Weg.
    Brandgeruch zog bis in die Gänge des großen Gebäudes, das die Drachenritter zu ihrem Hauptquartier erkoren hatten, und von draußen drangen die wütenden Schreie der Seevögel herein, die sie aus ihren Nestern vertrieben hatten. Milas weißer Stab, fast ebenso lang wie sie selbst, tastete sich durch den kahlen Gang voran. Das leise Klacken seiner Spitze erlaubte ihrem Gehör, den ungefähren Verlauf und die Beschaffenheit dieses Ganges einzuschätzen. Er war schmucklos, sie spürte auch keinen Teppich unter den Füßen, sondern nur harten Lehm. Es schien viele Kammern zu beiden Seiten zu geben, deren Eingänge nur durch schwere Vorhänge verhängt waren, und wäre der alles durchdringende Brandgeruch nicht gewesen, hätte sie dieses Gebäude vermutlich als angenehm kühl empfunden. Es war groß, selbst nach europäischen Maßstäben, das hatte ihr Dietmar gesagt. Angeblich würde die ganze Burg ihrer Familie hier hineinpassen. Mila spürte, dass dieser Palast, oder was immer es war, alt war, ohne dass sie genau hätte sagen können, woran sie das merkte. Er wirkte unbewohnt, wie es offenbar die ganze Festung war. Die Drachen hatten die Ritter und Waffenknechte auf einem großen Platz vor diesem Palast abgesetzt, und dann hatten die Männer ihn unter lautem Hurra-Gebrüll gestürmt. Sie waren – und Mila schien es, als seien sie darüber enttäuscht – auf keinerlei Widerstand gestoßen. Sie dachte über dieses Rätsel nach, während ihr Stab den Weg nach Hindernissen absuchte.
    Dietmar hatte ihr angeboten, sie zu führen, aber sie hatte abgelehnt. Der Mann hatte genug damit zu tun, die Quartiere herzurichten, und sie hatte ihm versichert, dass sie sich bestens zurechtfinden würde. Sie war sogar zuversichtlich, dass sie sich in diesem Gebäude bald besser auskennen würde als der besorgte Diener. Seine
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher