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Drachenmonat

Drachenmonat

Titel: Drachenmonat
Autoren: Ake Edwardson
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Kraft, mich abzuhören, und ich bat sie auch nie darum.
    »Hast du Hunger?«
    »Nein.«
    »Ich kann ein Bauernomelett machen.« Das gehörte zu den wenigen Gerichten, die sie zubereiten konnte. Bauemomelett. Es bestand nicht aus Bauern, geschlagen mit Eiern, aber der Geschmack wäre derselbe gewesen. Mutter kippte eine Dose Erbsen und Mohrrüben in den Eierteig zusammen mit einer Dose Schinken und briet das alles in der großen Bratpfanne, bis die Masse aussah wie ein fremder Planet.
    »Ich hab keinen Hunger«, wiederholte ich.
    »Ich hab aber Hunger«, hörte ich hinter mir Kerstins Stimme.
    Mutter hatte sie auch gehört. Kerstin hatte laut genug gesprochen.
    Jetzt sah ich Mutter. Sie kam in den Flur und sah fast ängstlich aus.
    »Ist… jemand bei dir?-«, fragte sie.
    Mir war klar, dass es eine Überraschung für sie sein musste. Ich brachte fast nie jemanden mit nach Hause.
    Bevor ich sie zurückhalten konnte, hatte sich Kerstin an mir vorbeigezwängt und trat in den Flur. Ich hatte geglaubt, Mutter würde uns gar nicht bemerken, vor allen Dingen Kerstin nicht. Das war nicht geplant. Ich hatte nicht damit gerechnet, sie vorstellen zu müssen, noch nicht. Vielleicht sogar nie.
    »Nein, aber …« Mutter sah richtig schockiert aus. »Guten Tag«, sagte Kerstin.
    Guten Tag. So was nannte man wohlerzogen. Aber Kerstin war nicht wohlerzogen, es gab vermutlich niemanden, der sie hätte erziehen können. Das hatte sie selbst getan.
    »Guten Tag, guten Tag«, sagte Mutter und kam auf uns zu, während sie sich über die Haare strich, als würde sie gleich eine Königliche Hoheit oder so was treffen. König Kenny. Oder vielmehr Prinzessin Kerstin.
    »Guten Tag.« Sie schüttelte Kerstin die Hand, und Kerstin machte einen Knicks. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, jedenfalls würde ich keinen Diener machen. Eine Sekunde hatte ich das Gefühl, als würde ich es doch tun.
    »Und wie heißt du … meine Kleine«, sagte Mutter.
    »Kerstin.«
    »Kerstin … aha … Kerstin. Der Name kommt mir bekannt vor.« Sie sah mich an. »War Kerstin nicht auch im Camp?«
    »Ja.«
    »Was für eine Geschichte«, sagte Mutter. Kerstin antwortete nicht.
    »Was für eine schreckliche Geschichte«, wiederholte Mutter. »Das Haus brennt ab. Und dann diese … seltsame Heimleiterin.«
    Und ihr Sohn, dachte ich. Christian. Aber ich sagte es nicht laut. Über ihn wollte ich in Kerstins Gegenwart nicht sprechen. Er hatte versucht, etwas mit ihr zu machen, und darüber wollte sie nicht reden, deswegen wollte ich es auch nicht, vor allen Dingen nicht vor Mutter.
    »Ja, was für eine Geschichte«, sagte sie zum dritten Mal. »Aber Tommy geht jetzt nicht mehr ins Camp.«
    »Sie meinen wohl Kenny?«, sagte Kerstin.
    Mutter sah noch erstaunter aus.
    »Äh … ja, Kenny, meine ich.«
    »Ich geh auch nicht mehr ins Camp«, sagte Kerstin.
    »Wie kriegen wir in Zukunft bloß den Sommer rum?«, sagte ich.
    »Was meinst du, Ke… Kenny?«, fragte Mutter. »Wir werden regelrecht behindert sein«, sagte ich. »Wenn der Sommer kommt, werden wir wie nach zehn Jahren Gefängnis freigelassen. Man weiß nicht, was man tun soll. Das Leben außerhalb der Mauern hat man ja nicht gelernt. Oder man hat es vergessen.«
    Mutter antwortete nicht. Jetzt verstand sie, was ich meinte. Darüber hatten wir früher schon diskutiert.
    »Man muss neu gehen lernen«, sagte ich.
    »Es waren doch nur einige Sommerwochen«, sagte Mutter.
    »Fast zwei Monate«, sagte ich, »jedes Jahr.«
    »Aber die Mauern sind jetzt ja sowieso weg«, sagte Kerstin. »Das ist doch gut. Sie sind abgebrannt.«
    »Ja, schrecklich«, sagte Mutter. »Wenn man sich vorstellt, was alles hätte passieren können …«
    »Es konnte überhaupt nichts passieren«, unterbrach ich sie. »Wir hatten alles unter Kontro…« Dann brach ich ab.
    Mutter sah mich wieder erstaunt an. Ich hatte ihr nicht erzählt, was wirklich passiert war, als das Haus abbrannte. Dass ich entschieden hatte, es abbrennen zu lassen, aber erst, nachdem alle in Sicherheit waren. Das hatte ich noch keinem Erwachsenen erzählt.
    Jetzt hatte ich zu viel gesagt, aber es Mutter zu erzählen war nicht ganz so, wie es einem Erwachsenen zu erzählen.
    »Was stehe ich hier herum!« Mutter schlug die Hände zusammen. »Wir wollten ja was essen!«
     
    Diesmal sah das Omelett wie der Mars aus, einer von all diesen platten Planeten im Sonnensystem. Von den zermatschten grünen Erbsen hatte er den gleichen grünen Schimmer. Mutter hatte Knäckebrot und
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