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Drachenmonat

Drachenmonat

Titel: Drachenmonat
Autoren: Ake Edwardson
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foltern konnte, das hatte sie auf der Lehrerhochschule gelernt. Dort gab es wahrscheinlich ein Fach: Foltern von Schulkindern, ohne zu schlagen. Es war das beliebteste Fach. Deswegen wurden so viele Erwachsene Lehrer. Und unsere Lehrerin hatte in dem Fach die beste Zensur bekommen.
    Ich drehte mich um.
    »Was machst du, Tommy!?«
    »Ich will hier nicht wer weiß wie lange stehen«, sagte ich. »Ich will hier nicht stehen.«
    »Dreh dich sofort wieder um!« Sie fuchtelte mit dem Zeigestock, aber sie stand so weit entfernt, dass sie mich nicht damit erreichte. »Dreh dich zur Wand um!«
    »Nein«, sagte ich.
    »DREH DICH ZUR WAND UM!«, schrie sie mit überkippender Stimme.
    Ich rührte mich nicht. Ich weiß nicht, woher ich den Mut nahm. Aber seitdem ich vom Camp zurückgekommen war, konnte ich nicht mehr alles tun, was die Großen verlangten. Sie hatten so viele Male bewiesen, dass sie es waren, die sich täuschten, und was sie taten, war noch schlimmer. Sie sollten uns nicht vorschreiben, was wir zu tun hatten, und uns schon gar nicht zwingen, eine Stunde lang eine Wand anzustarren. So etwas sollte ein Lehrer nicht tun. Lehrer sollten einem etwas beibringen fürs Leben. Daran dachte ich, während ich dort stand und sah, wie Frau Olsson den Zeigestock packte, als wollte sie mich schlagen. Eigendich war ich froh, dass ich mein Katana in diesem Moment nicht hatte. Hätte sie mich angegriffen, wäre ich vielleicht gezwungen gewesen, ihr den Kopf abzuschlagen.
    »Geh sofort hinauf zum Direktor!«, schrie sie.
    Ich rührte mich nicht.
    »Geh hinauf zum Direktor!«, wiederholte sie. »Und wage es nicht, abzuhauen! Ich werde das in der Pause überprüfen.«
    Das war die höchste Strafe in der Schule. Dem Direktor einen Besuch abzustatten. Ich war früher schon bei ihm gewesen.
    Ich ging auf die Tür zu.
    »Ich werde später mit ihm sprechen«, hörte ich Frau Olssons Stimme hinter mir.
    Ich öffnete die Tür, betrat den Flur und schloss die Tür hinter mir. Der Flur war lang und im Augenblick still. An der Schule gefielen mir die Korridore am besten, aber nur, wenn sie leer waren. Aus den Klassenzimmern drangen Stimmen und Gemurmel, das nett und freundlich klang, als würden die Schule und das Lernen doch ihren Sinn haben. Ich mag den Geruch in den Korridoren, besonders im Frühling und Herbst, wenn es draußen trocken war. Dann roch es hier drinnen nach Sonne und Staub, nach Holzspänen aus dem Werkraum im Keller und alten Büchern aus der Bibliothek. Den Geruch nach alten Büchern konnte man aber nur wahrnehmen, wenn man allein durch die stillen Flure ging. Das war mein Lieblingsgeruch.
    Ich stieg die Treppen zum Direktorzimmer hinauf und hörte das Klappern einer Schreibmaschine. Das musste die Sekretärin des Direktors sein.
    Sie zog gerade ein Blatt Papier aus der Schreibmaschine, das genauso weiß wie ihre Bluse war, und schaute auf, als ich ihr Zimmer betrat. Ich weiß nicht, ob sie mich erkannte. Ich war schon zwei-, dreimal hier gewesen. Sie war jünger als Frau Olsson und sah nicht so wütend aus.
    »Was willst du, mein Junge?«
    »Frau Olsson hat mich zum Direktor geschickt.«
    Ich hörte sie seufzen.
    »Was hast du denn nun wieder angestellt?«
    »Nichts«, antwortete ich.
    »Das sagen sie alle.« Sie lächelte.
    »Es ist die Wahrheit«, sagte ich.
    »Wie heißt du?«
    »Kenny.«
    »Ich kenne dich.«
    Ich antwortete nicht.
    »Du scheinst ja ein ziemlicher Störenfried zu sein.«
    Ich schwieg immer noch.
    »Aber du bist hübsch.«
    Ich drehte mich um und wollte gehen.
    »Nun warte doch! Du kannst nicht einfach weggehen, wenn dich deine Lehrerin raufgeschickt hat.«
    »Der Direktor hat wahrscheinlich gar keine Zeit.«
    »Ich seh mal nach.« Sie stand auf, ging quer durch das Zimmer und klopfte an die Tür des Direktors. Sie trug Schuhe mit hohen Absätzen und einen Rock mit einem breiten Gürtel. Ihre Haare waren braun und gelockt und sahen so aus, wie Mutter sich ihre Haare seit Jahren wünschte.
    Aus dem Direktorzimmer ertönte eine Stimme.
    »Hier ist ein Junge«, sagte die Sekretärin durch die Tür. »Seine Lehrerin hat ihn heraufgeschickt.«
    Es dauerte eine Weile, dann öffnete sich die Tür. Der Direktor machte einen Schritt ins Zimmer. Er sah auch nicht besonders alt aus. Er trug einen Anzug und ein weißes Hemd mit einem breiten Schlips. Die beiden sahen aus wie ein Paar, das sich jeden Augenblick zum Tanzen auf den Weg machen wollte. Der Direktor hatte gewellte Haare, aber wie Elvis sah er nicht aus,
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