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Drachenmonat

Drachenmonat

Titel: Drachenmonat
Autoren: Ake Edwardson
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eher wie Elvis’ großer Bruder.
    Er schaute mich an. »Aha, du schon wieder.« Ich nickte.
    »Was hast du denn diesmal gemacht?«
    »Nichts.«
    Mir kam es vor, als würde die Sekretärin lächeln. Vielleicht war sie ein bisschen blöd und lächelte von Zeit zu Zeit ohne Anlass.
    Jetzt lächelte der Direktor auch.
    »Am besten, du kommst mit in mein Zimmer, damit wir über nichts reden.«
    Er ging zurück in sein Zimmer, und ich folgte ihm. Er drehte sich um.
    »Bist du das nicht, der sich einen neuen Namen zugelegt hat?«, fragte er.
    »Ja.«
    »Sonny… Benny…?«
    »Kenny.«
    »Genau. Der Name hat mit den Samurai zu tun, wenn ich mich recht erinnere?«
    »Ja.«
    Er hielt die Tür fest, die langsam zuglitt. Das musste daher kommen, dass sich die ganze Schule neigte. »Tritt ein.«
    Das Zimmer des Direktors war fast genauso groß wie unser Klassenraum. Sein Schreibtisch stand an einem der Fenster, das auf den Wald an der Rückseite der Schule hinausging und nicht auf den Hof. Von hier aus konnte der Direktor nicht sehen, was auf dem Schulhof passierte. Vielleicht wollte er es nicht. Vielleicht hatte er anderes, woran er denken musste. Aber es wäre gut gewesen, wenn er ein bisschen mehr sehen würde. Es gab zu wenig Lehrer, die Pausenaufsicht hatten. Manchen erging es übel, wenn die Pausenaufsicht es nicht sah oder nicht sehen wollte. »Setz dich, Kenny.«
    Der Direktor zeigte mit dem Kopf auf den Stuhl, der vor dem Schreibtisch stand.
    Ich setzte mich. Meine Füße reichten nicht ganz bis zum Fußboden. Vielleicht war der Stuhl extra so angefertigt, dass derjenige, der darauf saß, sich noch kleiner fühlte. Aber der Direktor hatte den Stuhl nicht anfertigen lassen. Das war vermutlich sein Vorgänger gewesen. Der hatte letztes Jahr aufgehört, und sie sagten, er sei verrückt geworden. Aber das war er die ganze Zeit gewesen. Die Erwachsenen hatten es erst am Ende bemerkt.
    »Warum hat dich deine Lehrerin geschickt?«, fragte der Direktor.
    »Ich weiß es nicht«, antwortete ich.
    »Warum war sie der Meinung, dass du zu mir kommen musst?«
    »Ich verstehe Ihre Frage nicht.«
    »Was ist passiert?«
    Ich versuchte nachzudenken. Was war passiert? Ich hatte wiederholt, was sie gesagt hatte. »Ich habe einen falschen Satz wiederholt.«
    »Erzähle.« Ich erzählte es ihm.
    »Hast du nicht verstanden, dass du den vorhergehenden Satz wiederholen solltest?«, sagte der Direktor. »Nicht die letzte Frage an dich?«
    Ich antwortete nicht.
    »Hast du das nicht verstanden, Kenny?«
    »Doch.«
    »Deswegen ist sie böse geworden. Sie wusste, dass du es wusstest.«
    »Sie wird immer böse.«
    »Mhm.«
    »Es ist egal, was man sagt. Sie wird jedes Mal böse.«
    »Das ist schade«, sagte der Direktor. »Es spielt also keine Rolle.«
    »Was spielt keine Rolle?«
    »Ob man zuhört oder nicht. Ob man antwortet oder nicht. Was man antwortet.«
    »Für dich spielt es vielleicht doch eine Rolle, Kenny.«
    »Inwiefern?«
    »Es wird womöglich leichter … in der Klasse zu sitzen. Dem Unterricht zu folgen.«
    »Meinen Sie, für mich würde es leichter werden?«
    »Ja.«
    »Sie würde trotzdem böse werden.«
    »Aber du bist nicht böse, Kenny?«
    »Nein.«
    »Warum nicht?«
    »Ich bin nie böse«, sagte ich. »Ich bin Samurai. Ein Samurai wird nie böse.«
    »Das ist gut.«
    »Was hätte es gebracht, wenn ich auch böse geworden wäre?«, fragte ich. Es sah aus, als würde der Direktor wieder lächeln. »Versuch, im Unterricht besser zuzuhören«, sagte er nach einer Weile. Er schaute aus dem Fenster, zu dem Wäldchen, als sehnte er sich hinaus, weg von der Schule, in den Wald. »Auch wenn du es langweilig findest, versuch es.«
    »Ich finde es nicht langweilig.«
    »Warum hörst du dann nicht zu?«
    Ich antwortete nicht.
    »Denkst du an etwas anderes?«
    Ich nickte. Jedenfalls glaube ich, dass ich nickte.
    »Woran denkst du?«
    »Nichts.«
    »Doch, doch, Kenny.«
    »Ich kann mich nicht erinnern.«
    »Denkst du daran, was zu Hause ist?«
    Jetzt lächelte der Direktor nicht. Er schaute mich an. Es war ein Gefühl, als wäre er mir näher gekommen, aber er saß immer noch auf seinem Stuhl.
    »Tja … das tut man wohl manchmal. Das tun doch alle.«
    »Und woran denkst du dann, Kenny?«
    »Nichts Besonderes.«
    »Kannst du mir ein Beispiel nennen?«
    »Ein Beispiel von nichts Besonderem?«
    »Ja.«
    »Was soll das bringen?«
    »Nenn mir nur ein Beispiel.«
    Aber das konnte ich plötzlich nicht. Ich hatte kein Beispiel. Wusste er das? Er
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