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Drachenmonat

Drachenmonat

Titel: Drachenmonat
Autoren: Ake Edwardson
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zu beweisen. Und ich habe es auf die Art der Samurai gezeigt, mit dem Schwert und dem Gedanken, da der Gedanke und das Schwert bei einem Samurai ein und dasselbe sind.
    Schlage deinen Feind in demselben Bruchteil von Sekunden, in denen er dich schlagen will.
    Wende die Kraft deines Feindes gegen ihn.
    Es war eine Frage der Geduld, was nicht endlose Geduld bedeutete. Ein Samurai ist ruhig, das heißt jedoch nicht, dass man Ungerechtigkeiten aller Arten ertragen muss.
    Ich legte mein Katana um und verließ die Wohnung. Die Tür schlug ich so laut hinter mir zu, dass Mutter aufwachen würde, falls sie wieder eingeschlafen war. Es war ein gewöhnlicher Nachmittag. Ich wurde langsam hungrig, hatte aber kein Geld bei mir gehabt, um auf dem Heimweg von der Schule etwas zu essen kaufen zu können. Ich hatte vergessen, es Mutter zu sagen, als ich in ihrem Zimmer stand, und jetzt wollte ich nicht noch einmal umkehren und sie fragen. Vielleicht hatte sie gestern etwas eingekauft. Vielleicht schleppte sie sich noch vor Mittemacht in die Küche und briet etwas. Das würde eine schöne Überraschung werden.
    Im Treppenhaus roch es nach Essen, altem Essen. So hatte es gerochen, solange ich mich erinnern konnte, als hätte jemand in den vergangenen zehn Jahren jeden Tag dasselbe Gericht gekocht, etwas Fettes, und der Geruch hatte sich in Wänden und Treppenstufen festgesetzt und weigerte sich, das Haus zu verfassen. Man müsste es abreißen, um ihn loszuwerden, und das war vielleicht gar keine schlechte Idee. Die ganze Bude war braun wie Scheiße und alt wie die Straße draußen, nichts davon war wert, es zu erhalten wie Überreste aus der Antike, etwas Uraltes, das von Bedeutung war oder schön. Das hier war nur alt und für niemanden gut, es müsste für immer verschwinden. Manchmal dachte ich, ich sollte aus dieser Bruchbude verschwinden, aus diesem Stadtteil und der Stadt. Ich wusste, dass ich verschwinden würde, wenn ich groß war, aber am liebsten wäre ich schon jetzt weggegangen.
    Frau Sandberg stand unten auf dem Hof und klopfte ihre Läufer, als hätte sie eine furchtbare Wut auf sie. Sie hielt inne, wischte sich über die Stirn und sagte: »Sieh einer an, Tommy.«
    Ich nickte nur, ohne zu antworten.
    »Ich meine Kenny.« Sie lächelte.
    »Guten Tag, Frau Sandberg.«
    Immer mehr wussten inzwischen, dass ich jetzt Kenny hieß. Mutter hatte mit Leuten auf dem Hof gesprochen, die fragten, warum ich aufgehört hatte zu grüßen. Der Junge ist nicht unhöflich, hatte sie gesagt und es zu erklären versucht. Herr im Himmel, hatten sie gesagt. Aber schließlich hatten sie es sich gemerkt, bis auf einige, die mich weiter Tommy nannten oder es »vergaßen«, wie sie sagten. Aber das war ihr Problem.
    Frau Sandberg zeigte mit dem Teppichklopfer auf mein Schwert. »Haben wir Krieg ?«
    »Es ist doch nie Krieg«, antwortete ich.
    »Warum trägst du dann immer ein Schwert?«
    »Nicht immer.«
    »Man braucht kein Schwert.«
    Wie hätte ich es ihr erklären sollen? Das würde den ganzen Nachmittag dauern, und Frau Sandberg würde trotzdem nicht kapieren, dass ein Schwert nicht nur eine Waffe ist. Wie sollte sie begreifen, was Satori ist? Dass Schwert, Seele und Gedanke eins werden bei einem Samurai?- Aber vielleicht würde sie es auch in Sekundenschnelle verstehen. Ihre Seele und ihr Teppichklopfer waren eins. Sie hatte Satori schon vor mehreren Jahren erreicht. Genau wie das Schwert dorthin auf dem Weg war, was Seishin Tanren hieß, so war ihr Teppichklopfer der Weg zu ihrem Satori. Trotzdem wirkte sie nicht ruhig, sie hatte keine Geduld. Und sie wartete bei ihren Feinden nicht den rechten Moment ab, um loszuschlagen. Das kam daher, weil sie mit ihren Feinden zusammenwohnte. So etwas musste man vermeiden. Manchmal spielte es keine besondere Rolle, aber manchmal war es gefährlich. Man konnte in eine Familie hineingeboren werden, in der es von der allerersten Sekunde an Feinde gab.
     
    Kerstin wartete im Park auf mich. Sie war im selben Sommercamp gewesen wie ich. Wir hatten noch nicht viel über das geredet, was dort passiert war. Wir hatten bisher nicht gewagt, daran zu rühren. Wir wussten beide, dass wir darüber sprechen mussten, doch es würde sich von ganz allein ergeben.
    Kerstin war genauso alt wie ich und ein bisschen größer. Vielleicht würde ich sie überholen, vielleicht auch nicht. Darüber dachte ich nicht nach. Ich dachte mehr an ihre grünen Augen und ihr helles Haar, durch das jetzt die Sonne schien, wie sie da auf
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