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Drachenmonat

Drachenmonat

Titel: Drachenmonat
Autoren: Ake Edwardson
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Kenny?«, fragte Kerstin.
    Und seitdem habe ich keine mehr erzählt.
     
    2
     
    Plötzlich blies ein Wind über den Fluss. Wir waren wieder in den Park gegangen. Der Wind kräuselte das Wasser, dass es aussah, als würde es kochen. Aber das Wasser war kalt, kälter, als man denken sollte nach diesem heißen Sommer. Meinetwegen konnte es ruhig kalt sein. Ich war Hitze und Sonne leid. Jetzt sollte es richtig Herbst werden und dann Winter. Dann würden wir uns eine Eisbahn auf dem Fußballplatz gießen und Eishockey spielen. Ich konnte gut mit dem Schläger umgehen, fast genauso gut wie mit dem Schwert. Aber mit dem Schläger zielte ich auf den Puck, nicht auf den Kopf eines Gegners. Es gab Spieler auf dem Spielfeld, die schwangen den Schläger wie ein Katana, ohne allerdings zu wissen, was sie taten. Das konnte manchmal gefährlich werden.
    Kerstin schauderte. Sie hatte nur eine dünne Jacke an, die den Wind nicht abhielt, und zog den Reißverschluss hoch.
    »Ist dir kalt?«
    »Ja.«
    Ich schaute zum Himmel hinauf. Wolken waren aufgezogen, und es waren mehr Wolken als Himmel zu sehen. »Vielleicht kriegen wir Regen«, sagte ich. »Dann werden wir nass.«
    »Wenn wir im Regen stehen bleiben, ja.«
    »Ich glaube nicht, dass es regnet«, sagte Kerstin.
    »Was möchtest du jetzt machend«, fragte ich.
    »Alles, außer nach Hause gehen«, antwortete sie.
    Dazu sagte ich nichts. Ich wusste, dass es für sie kein richtiges Zuhause war. Im Vergleich zu dem, wie sie lebte, war mein Leben bei Mutter vermutlich das reinste Paradies. Mutter war zwar irgendwie verrückt, aber sie trank keinen Schnaps. Das tat Kerstins Mutter, und ihr Vater auch, aber der war irgendwann im vergangenen Sommer abgehauen, und niemand hat ihn mehr gesehen. Jetzt wohnten also nur noch Kerstin, ihre Mutter und ihr kleiner Bruder in der Wohnung im dritten Stock eines Hauses, das einmal neu gewesen war, was man jetzt aber kaum noch glauben konnte.
    Kerstin sprach nicht von ihrem Vater. Sie redete auch nicht viel von ihrer Mutter. Über eine Mutter, die säuft, spricht man nicht gerade gern, vermute ich mal. Mein Vater hatte auch getrunken, und dann war er verschwunden, und dann war er gestorben. Bei uns zu Hause war es ruhiger geworden. Das wollte ich Kerstin nicht erzählen, da es bei ihr zu Hause nicht ruhiger geworden war, nachdem ihr Vater abgehauen war. Ich wusste nicht, ob das Jugendamt schon mal bei ihnen gewesen war, danach hatte ich sie nicht gefragt. Bei uns war jemand gewesen, eine Frau mit langen Haaren und vorstehenden Zähnen. Sie war mit Mutter in die gute Stube gegangen und hatte die Tür zugemacht, und ich konnte nicht hören, worüber sie redeten.
    Mutter hatte geweint, nachdem die Frau gegangen war.
    »Was ist?«, hatte ich gefragt.
    »Nichts«, hatte sie geantwortet.
    »Also das Übliche«, hatte ich gesagt. »Was wollte das Kaninchen?-«
    »Was … wer…?«
    »Na, die Alte mit den Zähnen. Was wollte sie?«
    »Sie wollte … sie hat gefragt…« Dann brach sie ab und hat nur noch lauter geheult, fast wie in der Kirche auf Vaters Beerdigung.
     
    Was das Kaninchen gesagt hat, habe ich nicht erfahren. Bis jetzt war Mutter noch nicht abgeholt worden. Und ich auch nicht. Vielleicht würde das noch passieren, und vielleicht würden sie auch Kerstin abholen und uns zu verschiedenen Stellen schicken. Nach Norrland oder Schonen. So was passierte dauernd. Sie schickten Kinder im ganzen Land hemm, die Züge und Busse mussten voll sein von Kindern, die zu Pflegefamilien geschickt wurden.
    Es begann zu regnen. Ich schaute zum Himmel hinauf, der jetzt grau wie ein Stein war. Mein Gesicht wurde nass. Das war ein schönes Gefühl.
    »Endlich mal keine Sonne«, sagte ich.
    »Meinetwegen darf sie ruhig bleiben«, sagte Kerstin.
    »Sie ist ja noch da«, sagte ich. »Sie ist nur hinter dem grauen Stein da oben verschwunden.«
    Ich spürte, wie mir das Regenwasser übers Gesicht floss.
    »Du willst wohl baden, was«, sagte Kerstin.
    »Och«, sagte ich und senkte den Kopf.
    Ihre Haare waren nass geworden. Jetzt sah es eher dunkel aus. Plötzlich legte sie eine Hand auf meine Wange, und dann zog sie sie wieder weg.
    Zwei kleine Mädchen hüpften in den Wasserpfützen auf dem Hof, so dass es nur so um ihre Stiefel spritzte. Regen machte im Herbst mehr Spaß als Sonne.
    »Seid ihr verliebt?«, rief das eine Mädchen und kicherte, als wir vorbeigingen.
    Wir antworteten nicht. Darauf gab es keine Antwort. Wir gingen zu meinem Hauseingang. Im Treppenhaus war es
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