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Drachenmonat

Drachenmonat

Titel: Drachenmonat
Autoren: Ake Edwardson
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mich an. »Och.«
    »Schönes Plakat«, sagte sie. »Wer ist das?«
    »Musashi. Der Größte von allen.«
    »Woher weißt du das?-«
    »Ich weiß es einfach«, sagte ich. »Er war Kensai.«
    »Was bedeutet Kensai?-«
    »Der heilige Mann des Schwertes.«
    »Willst du auch einer werden?«
    »Ich glaube, wir leben im verkehrten Land«, antwortete ich, »und in der falschen Zeit.«
    »Wann hat er denn gelebt?-«
    »Er wurde 1548 geboren.«
    »Das ist ja noch gar nicht so lange her.«
    »Das hängt davon ab, womit man es vergleicht«, sagte ich.
    »Das sechzehnte Jahrhundert ist noch nicht lange her. Stell dir vor, ein Neunzigjähriger hätte dich gehalten, als du geboren wurdest, und ein anderer hätte den gehalten, der neunzig Jahre alt ist, als er geboren wurde, und dass der von einem Neunzigjährigen gehalten wurde und der wiederum von einem Neunzigjährigen gehalten wurde!«
    »Donnerwetter, das sind aber eine Menge Neunzigjährige«, sagte ich.
    »Es sind viele Jahre«, sagte Kerstin.
    »So alt wurden die Menschen früher nicht«, sagte ich.
    »Woher weißt du das?-«
    Ich wies mit dem Kopf auf die alte Schultasche am Fußboden.
    »Aus dem Geschichtsbuch.«
    »Das hast du dir nur ausgedacht«, sagte Kerstin.
    Ich zuckte mit den Schultern.
    »Wenn man bei meinem Beispiel bleibt und von dem Moment an, als du geboren wurdest, rückwärts rechnet, landen wir im Jahr 1593«, sagte Kerstin.
    »Das hast du aber schnell ausgerechnet.«
    »Ich hab schon früher darüber nachgedacht. Und wir sind ja gleich alt.«
    »Bald neunzig«, sagte ich.
    Die Musik wurde plötzlich lauter. Man konnte verstehen, was Elvis sang:
    »Who cares for fame and fortune,
    they’re only passing things«.
    Das Lied war zu Ende und fing wieder von vom an.
    »Es ist dasselbe Lied«, sagte Kerstin.
    »Sie kann es neunzigmal hintereinanderspielen«, sagte ich.
    Kerstin nickte.
    »Findest du das nicht komisch?-«, fragte ich. »Sie mag es eben.«
    »Aber irgendwo ist doch die Grenze.«
    » Who cares for fame and fortune«, sagte Kerstin, »they’re only passing things«.
    »Wen kümmern Erfolg und Reichtum«, sagte ich, »das geht alles vorbei.«
    »Äußerlichkeiten«, sagte Kerstin. »Ein bisschen Reichtum hätte ich trotzdem gem.«
    »Was würdest du damit machen?«
    »Tja … kommt drauf an, wie viel ich habe.«
    »Tausend Krönend«
    »Vielleicht würde ich nach Japan fahren.«
    »Reichen da tausend Kronen?-«
    »Ich glaube ja, wenn ich während der Überfahrt auf dem Schiff Kartoffeln schäle.«
    »Willst du nicht lieber fliegen?«
    »Dann wird es wohl noch teurer.« Ich sah sie an. »Was würdest du denn machen?-«
    »Wenn ich tausend Kronen hätte?-«
    »Ja.«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Du kannst dir doch irgendwas ausdenken?«
    »Ich würde wohl auch gerne reisen.«
    »Wohin?-«
    »Das weiß ich nicht, nur weg.«
    »Nur weg?«
    »Weg von hier.«
    Sie schaute mich nicht an, als sie das sagte, sondern aus dem Fenster. Guckte weg.
    Die Musik verstummte genauso plötzlich, wie sie laut geworden war.
    »Für diesmal Schluss mit dem Reichtum«, sagte ich. Kerstin ging zu der Kommode, auf der ein Foto stand. Sie drehte sich um, ohne etwas zu sagen. »Ja, das ist mein Vater«, sagte ich.
    Sie wandte sich wieder dem Foto zu. Es war schwarzweiß. Ein richtiger Fotograf hatte es aufgenommen, in einem Fotoatelier. Rechts auf dem Bild stand eine Jahreszahl.
    »Du siehst ihm ähnlich«, sagte Kerstin.
    »Er sah Elvis ähnlicher«, sagte ich. »Tatsächlich, ein bisschen sieht er Elvis ähnlich.«
    »Ist das nicht unheimlich?-«, sagte ich. »Mein Vater sah Elvis ähnlich, und meine Mutter hört Elvis.« Kerstin antwortete nicht. Sie betrachtete wieder das Foto. »Es liegt wohl an der Frisur«, stellte sie fest. »Ich glaub, ich lass mir die Haare abschneiden«, sagte ich. »Tu das nicht.«
    »Warum nicht?-«
    »Samurais hatten keine kurzen Haare«, sagte sie. »Da hast du Recht«, sagte ich.
    Plötzlich hörten wir meine Mutter durch die Wand rufen.
    »Tommy, bist du zu Hause?-«
    »Sie hat Schwierigkeiten mit Namen«, sagte ich.
    »Mag sie deinen neuen Namen nicht?-«
    »Ich glaube, sie vergisst ihn bloß.«
    »Tommy?« Der Ruf drang durch den Flur und die Wände. Elvis war verstummt. »Kenny? Kenny? Bist du zu Hause?«
    Ich öffnete die Tür, konnte sie aber immer noch nicht sehen.
    »Ich bin zu Hause!«, rief ich zurück. »Was machst du? Schularbeiten?-«
    Ich antwortete nicht. Sie hatte ja doch keine Ahnung von meinen Schularbeiten. Sie hatte nie
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