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Drachenmonat

Drachenmonat

Titel: Drachenmonat
Autoren: Ake Edwardson
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dunkel, fast wie am Abend, obwohl es noch nicht richtig Abend war. Wir stiegen die Treppen hinauf. Als wir uns dem zweiten Stock näherten, hörten wir Musik.
    »Was ist das?«, fragte Kerstin.
    »Musik.«
    »Das hör ich selbst. Aber woher kommt sie?-«
    »Keine Ahnung«, antwortete ich, obwohl ich es wusste.
    Die Musik kam aus unserer Wohnung. Meine Mutter war munter geworden. Wir standen vor der Wohnungstür.
    »Die Musik kommt von euch.« Kerstin wies mit dem Kopf auf die Tür.
    »Ach ja«, sagte ich und wäre am liebsten wieder umgekehrt. Es war keine gute Idee gewesen, Kerstin einzuladen. Ich wusste nicht, warum ich das getan hatte. Vielleicht war es an der Zeit. Vielleicht hoffte ich, dass Mutter spazieren gegangen war oder wie man das nennen sollte. Manchmal ging sie stundenlang spazieren, und wenn sie wiederkam, erzählte sie nicht, wo sie gewesen war. Vielleicht wusste sie es selber nicht. Manchmal hatte sie etwas gekauft, wenn die Läden geöffnet gewesen waren. Wenn sie es aus der Tasche oder dem Beutel nahm, sah sie manchmal erstaunt aus, als wäre es für sie genau so eine große Überraschung wie für mich. Manchmal waren es einige Stückchen Torte, manchmal nur ein Paar Strümpfe.
    »Das kenne ich«, sagte Kerstin.
    »Was?-«
    »Die Musik natürlich. Das ist Elvis.«
    »Aha.«
    »Hast du Elvis schon mal gehört?«
    »Das ist das Einzige, was sie spielt«, sagte ich.
    Und das stimmte. Sie konnte den ganzen Nachmittag Elvisplatten auflegen oder den ganzen Abend, als wäre er der einzige Sänger der Welt, von dem es Platten gab. Elvis’ Stimme war die, die am meisten bei uns zu hören war. Dann saß meine Mutter auf dem Sofa, hörte zu und betrachtete Elvis’ Bild auf dem Cover. Er sah albern aus. Häufig summte sie mit, aber ich glaube nicht, dass sie viel vom Text verstand, ich auch nicht, aber was ich verstand, konnte ich wenigstens aussprechen.
    »Ihr habt also einen Plattenspieler«, sagte Kerstin.
    »Unser einziger Besitz.«
    Früher hatte Großmutter uns manchmal Geschenke mitgebracht, aber jetzt kam sie nicht mehr, weil sie nicht mehr gehen konnte. Der Plattenspieler war nicht größer als ein Transistorradio, und die Lautsprecher waren nicht viel größer als Streichholzschachteln. Aber es war ein richtiger Plattenspieler. Vielleicht hatte Großmutter gedacht, dass Mutter dann nicht mehr so einsam sein würde. Die Lieder würden ihr Gesellschaft leisten, wenn ich nicht zu Hause war.
    Ich legte die Hand auf die Türklinke. Die Tür war nicht abgeschlossen. Beim Weggehen hatte ich Mutter gebeten, sie abzuschließen, denn es könnten ja Diebe hineinspazieren und alles stehlen, was wir besaßen, während sie im Wohnzimmer Elvis hörte. Aber sie vergaß es fast jedes Mal. Noch war kein Dieb gekommen. Wahrscheinlich wäre er auch ziemlich schnell wieder umgedreht, denn bei uns gab es nichts zu stehlen, nur meine Samuraisachen in meinem Zimmer. Doch er würde gar nicht kapieren, was das war. Oder sie.
    Wir gingen durch den Flur. Die Tür zum Wohnzimmer war offen, aber Mutter konnte ich nicht sehen. Sie saß nicht auf dem Sofa, was bedeutete, dass sie am Fenster stand und auf die Straße schaute. Vielleicht dachte sie darüber nach, ob sie hinuntergehen und wegfahren sollte. Das war früher schon passiert. Wenn sie nach links fuhr, gelangte sie nach Norrland. Fuhr sie nach rechts, kam sie nach Schonen.
    »Wir gehen in mein Zimmer«, sagte ich und wies mit dem Kopf auf die Tür an der rechten Wand.
    Ich machte die Tür hinter uns zu.
    Kerstin sah sich schweigend im Zimmer des Kriegers um. Ich schaute mich auch um, um das Zimmer mit ihren Augen zu sehen. Was sah sie?- Ein Bett, einen Schreibtisch, einen Stuhl und den kleinen Tisch mit meinem Wakizashi, eine Kommode, in der ich meine Kleidung verwahrte. Auf dem Fußboden eine Tasche, in der meine nicht erledigten Hausaufgaben steckten. Eine Tür zu einem Schrank, in dem meine Samuraisachen waren.
    Über dem Bett hing ein Filmplakat von dem Film des japanischen Regisseurs Akira Kurosawas, »Yojimbo - der Leibwächter«, der im letzten Jahr in der Stadt gelaufen war. Er handelte von dem größten Samurai. Schon mehrere Wochen vor der Aufführung hatte ich den Filmtheaterbesitzer um das Filmplakat gebeten, denn ich wusste immer im Voraus, welche Filme kommen würden. Viele wollte ich nicht sehen, was ganz praktisch war, denn ich konnte mir nicht jede Woche leisten, ins Kino zu gehen. Aber »Yojimbo« hatte ich gesehen.
    »Schön«, sagte Kerstin und sah
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