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Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition)

Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition)

Titel: Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition)
Autoren: Michael Szameit
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stößt den anderen zurück, “Sie wagen es noch…” Sie ringt nach Atem, die unterschiedlichsten Gefühle lohen in ihr auf.
    Das ungläubige Staunen in seinem Gesicht währt nur kurz. Er nickt verstehend – beinahe mitleidig, will es Hendrikje scheinen – und wendet sich mit einer hilflosen Geste ab, ohne auch nur den Versuch einer Verteidigung zu unternehmen.
    Hendrikje aber kann nicht zurückhalten, was in ihr tobt. Ob es nur die Enttäuschung ist, der kalte Wasserguß auf ihre angespannten Erwartungen, oder aber vermeintliche Erkenntnis moralischer Überlegenheit – sie fragt sich nicht danach und brüllt ihren Zorn heraus, kümmert sich auch nicht darum, ob sie vom Büro zur Untersuchung abweichender Verhaltensweisen zu einer Unterredung gebeten werden könne. “Rühren Sie mich nicht an!” schreit sie, als sich der Mops vom Phänotyp polynesisch zwei noch einmal ihr zuwendet. “Sie Ungeheuer… Sie haben ja noch Blut an den Händen…” Und dann offenbart ihr Vokabular erstaunliche Kenntnisse in der Zoologie, ihre Stimme überraschende Kraft und ihr Gemüt die sensationelle Fähigkeit zu nichtstimulierten Empfindungen höchster Intensität.
    Ihr Toben erlischt in einem Weinkrampf, und erst als sie von einigen verwunderten Passanten in einen Amigo gesetzt worden ist und der Kursautomat nach dem Fahrtziel fragt, kommt sie zu sich.
    “Bitte, geben Sie mir ein Kohlehydratkonzentrat”, sagt der Amigo, “sonst muß ich erst einen Verpflegungspunkt anlaufen.” Das Fahrzeug läßt seine Muskeln spielen, gewaltige, knotige Stränge, die unter der durchsichtigen Motorhaube, zu dicken Bündeln gepackt, liegen.
    Gedankenverloren fingert Hendrikje eine der kleinen Pillen aus ihrer Brusttasche, wohl wissend, daß sie damit gegen die Bestimmungen verstößt, denn die hochwertigen Konzentrate sind nur für die menschliche Ernährung bestimmt, seit das Essen nicht mehr der Auffrischung des energetischen Potentials, sondern ausschließlich dem Vergnügen vorbehalten ist und der kalorische Gehalt extrem gesenkt wurde – dank einfallsreichen Chemikern und Ernährungsphysiologen. Aber jeder spendiert einem Amigo einmal eine Pille, um ohne Zeitverlust an sein Reiseziel zu gelangen, und die Amigos haben sich daran gewöhnt.
    Nach wenigen Metern Fahrt stoppt das Fahrzeug wieder, und der Kursautomat flüstert: “Hätten Sie vielleicht auch eine Qualle für mich?”
    Hendrikje zieht zerstreut die leere Dose hervor, da erst fällt ihr ein, daß ihr Vorrat aufgebraucht ist. Und plötzlich kommt sie zu sich. “Was willst du mit einer Qualle?” fragt sie befremdet.
    “Nun ja…” Der Amigo druckst eine Weile herum. “Das verschafft einem so einen gewissen Anreiz, vielleicht ist es das, was ihr Menschen Freude nennt, es ist jedenfalls ganz anders mit so einer Qualle. Man bekommt ein anderes Verhältnis zu seinem Leistungsvermögen…”
    Hendrikje lacht hart auf, als sie auf einmal begreift: Dieses einfache Servicegehirn hat recht. Der Verstand wird sich nie über das Gefühl erheben können, er wird gegenstandslos, unnötig, wenn man ihn optimieren will, indem man ihn von solchen vermeintlichen Rudimenten zu befreien sucht, wie es angeblich die Gefühle sind. Am Urbanidum Maximum strahlt die Tageslosung. “Der Reichtum der Gemeinschaft ist der Reichtum jedes einzelnen.” Hendrikjes Blick wischt darüber hinweg und heftet sich auf die inzwischen gestiegene Sonnenscheibe. Wie eine Vollreife Orange hängt die Sonne über dem Horizont, und in ihrem Innern geschehen Dinge, deren Folgen auch die besten Wissenschaftler nicht voraussehen können.
    Germelin Stotzner konnte es nicht mehr erleben, denkt Hendrikje, und in ihrer Faust fühlt sie die Kanten des kleinen Schmuckgegenstandes. Was wird von uns bleiben, wenn die Sonne ihr Veto einlegt? Nicht einmal die Denkmäler.

KAPITEL 2
    “Raus mit dem Omegasegel!” Skamander hört den Befehl Kosmander Flakkes und löst den Katapultstart seines Wantentrailers aus. In solchen Augenblicken macht ihm seine Arbeit Spaß. Als das gepanzerte Keramitei die Großroyalpardunen emporjagt, jene Trossen, die bis dicht unter die Spitze des Großmastes reichen, wagt er einen Blick zur Seite.
    Aus dem vierten Backschacht des Drachenkreuzers steigt ein zweiter Wantentrailer auf, und hinter ihm, aus dem sechsten Quarterdeckschacht, ist Skagit gestartet. Proximer Bruno von der Hohen Aue steuert den unförmigen Wantentrailer, als wäre das nicht schwerer als Fahrradfahren. Die acht Gliederbeine des
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