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Drachenkinder

Drachenkinder

Titel: Drachenkinder
Autoren: Hera Lind
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Kiefer, in den man ihr später neue Zähne einsetzte –, suchte ich dort eine Pflegefamilie für sie. Die nahm Shakila nach erfolgreich abgeschlossener Therapie bei sich zu Hause auf. In Hamburg lernte das Mädchen lauter Dinge, die für afghanische Mädchen biologisch-genetisch völlig unmöglich sind: Radfahren, Schwimmen, Reiten, Tanzen, Lachen und Flirten. Ein weiteres afghanisches Flüchtlingskind, ein taubes Mädchen, konnte ich ebenfalls an eine hilfsbereite Familie weitervermitteln.
    Bald waren wir schon vier Helferfamilien – und das fühlte sich toll an.
    »Wie sieht’s aus, Sybille? Sollen wir uns zusammentun und einmal selbst nach Peshawar fliegen?«
    Sebastian Arnold, Shakilas Pflegevater sprach diese »Einladung« aus. »Die HFA fliegt demnächst wieder runter, um hilfsbedürftige Kinder zu holen. Wir können bei der Auswahl behilflich sein.«
    »Außerdem könntest du deine hundert Rollstühle dann selbst verteilen, Fotos machen und sie den Spendern zukommen lassen. Erinnere dich doch mal, wie glücklich du warst, als du das Foto von deinem ersten Rollstuhlempfänger gesehen hast!«, meinte seine Lebensgefährtin Heike. »Das motiviert viele, auch zu spenden!«
    »Tja«, sagte Micki stolz und legte den Arm um mich. »Da hat meine Sybille wohl eine kleine Lawine ins Rollen gebracht.«
    Ich sah verunsichert von einem zum anderen. Fein, das mit der Lawine. Aber ich selbst wollte da eigentlich nicht reingeraten.
    »Ähm …« Schluck. Ich sollte selbst in diese … Hölle auf Erden reisen?
    »Ach, wisst ihr …« Ich biss mir auf die Unterlippe. »Helfen und handeln in unserem gut organisierten Land ist das eine, aber ehrlich gesagt fürchte ich mich vor dem Elend da unten. Ich weiß nicht, ob ich das verkrafte …«
    Dort gab es bestimmt keine schöne Hotelanlage mit Pool, reservierten Liegestühlen und so. Und ein frisch bezogenes Bett sollte schon sein! Am Abend dann ein leckeres Bier aus der Minibar! Wie man hörte, gab es dort solche kleinen Freuden nicht. Überhaupt hatte man da als Frau die Arschkarte, um es mal etwas derber auszudrücken.
    Hier saß ich nun auf meinem schönen Sofa im Kreis meiner neuen Freunde und schämte mich. Abwartend sahen sie mich an. Ich meine, ich hatte das hier schließlich alles angezettelt! Konnte ich da jetzt wirklich kneifen?
    Einerseits war ich schon ziemlich tief in die Materie eingedrungen und hatte echt was bewirkt. Andererseits … war ich eine feige Nuss.
    »Ihr Lieben, seid mir nicht böse, aber ich kann meine eigenen Kinder unmöglich wochenlang allein lassen …« Ich fuhr mir nervös über das Gesicht. »Noch jemand Tee?« Mit angestrengtem Lächeln reichte ich die Kuchenplatte herum. »Probiert mal den Nusskuchen. Hat Vanessa fast ganz allein gemacht.«
    Hilfesuchend schaute ich mich zu meinem Mann um, der gerade mit Simon und Shakila die neue Modelleisenbahn ausprobierte.
    »Also, von mir aus kannst du gerne fahren«, sagte Micki. »Ich stehe hinter dir.«
    Ja, aber musste er mir deshalb gleich in den Rücken fallen? Ich schluckte trocken.
    »Ähm … Du würdest also bei den Kindern bleiben?« Ich schloss die Augen und zählte langsam bis drei. Bitte sag Nein, bitte sag Nein, bitte sag …
    »Ja«, sagte Micki. Um seine Mundwinkel zuckte es. »Ich nehme mir Urlaub. Sybille, du würdest dir das nie verzeihen, wenn du nicht mitfliegen würdest«, fügte er fast entschuldigend hinzu, als er das entsetzte Flackern in meinen Augen sah. »Du wolltest doch schon lange mal raus hier!«
    »Ja schon, welche Mutter will das nicht …«
    »Du bist doch nicht der Typ Frau, der ins Müttergenesungswerk fährt, um dort Schlammpackungen zu genießen.«
    »Ähm, nö. Natürlich nicht.« (Im Moment konnte ich mir nichts Schöneres vorstellen als so eine Schlammpackung.)
    »Na bitte!«, freute sich Sebastian Arnold, und auch seine Lebensgefährtin schlug mir begeistert auf die Schulter. »Einen tollen Mann hast du, Sybille!« Sie klatschte in die Hände. »Also, abgemacht! Wir fliegen!«

6
    Kleine Lehmhütten und von Mauern umgebene staubige Gärtchen waren vom Flugzeug aus zu erkennen, als wir von Karachi kommend in Peshawar landeten. Jetzt hatte ich endlich eine ungefähre Idee, wo dieses Flüchtlingslager überhaupt lag!
    Das Greens -Hotel war nicht gerade das Bristol oder Interconti , aber auch nicht so furchtbar wie befürchtet. Europäern und Amerikanern vorbehalten, galt es in diesem Landstrich als unvorstellbarer Luxus. Wenn man die Ratten und Kakerlaken für
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