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Drachenkinder

Drachenkinder

Titel: Drachenkinder
Autoren: Hera Lind
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niedliche Tierchen hielt, war sogar ein Streichelzoo mit dabei. Es gab ganz gutes Essen, Reis mit scharfen Soßen, und Pepsi und Trinkwasser in Dosen.
    »Ich habe hervorragend geschlafen, Kinder«, behauptete ich forsch, als wir Pflegeeltern am nächsten Morgen gemeinsam zu unserem Besuch im Flüchtlingslager aufbrachen.
    »Tja, so eine bewaffnete Security hat man in Bergfeld nicht«, sagte Heike mit einem ehrfürchtigen Seitenblick auf die finsteren Gesellen mit Kalaschnikow, die vor dem Hotel Wache schoben.
    »Ein echt heimeliges Urlaubsdomizil«, meinte auch Sebastian.
    Draußen auf der Straße fühlte ich mich angesichts der Turbanträger und Frauen in Burka in Karl Mays Durchs wilde Kurdistan oder die Abenteuerwelt meiner Kindheit versetzt. Wie war das noch gleich? Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah – oder so. Wo blieb Kara Ben Nemsi Effendi?
    Während wir auf der Ladefläche eines klapprigen Jeeps saßen – wir Mädels natürlich mit trendigem Kopftuch und knielangem Hemd über Pluderhosen – und über badewannengroße Schlaglöcher holperten, holte Sebastian stolz die Fotos seiner Pflegetochter Shakila aus der Aktenmappe. »Die zeige ich ihrem Onkel. Na, der wird Augen machen!«
    Die Mutter war einem Bombenangriff zum Opfer gefallen, und der Vater von Truppen der Nordallianz ausgeraubt und ermordet worden.
    Man sollte meinen, der Onkel hätte sich wahnsinnig gefreut, dass sich jemand seiner verletzten, verwaisten Nichte so liebevoll angenommen hatte. Aber der alte Pashtune (der wahrscheinlich längst nicht so alt war, wie er aussah!), war kein bisschen amused . Unter buschigen Augenbrauen starrte er uns böse an und schimpfte und fluchte. Nicht dass ich was verstanden hätte, aber Miene, Gesten und Tonfall waren unmissverständlich.
    Erstens hatten wir es gewagt, ein Besprechungszimmer zu betreten, das nur Männern vorbehalten war. (Entschuldigung, wir konnten kein Schild » Gentlemen only « erkennen, und ich schwöre, es war auch keins da!) Zweitens hatte ich ihn beim Sprechen angesehen. So etwas tut eine anständige Frau nicht. Sie schaut demütig zu Boden und sagt gar nichts, bevor sie nicht gefragt wird. Und drittens zeigten die Fotos ein fröhliches Mädchen, das mit wehendem Haar Rad fährt! Ohne Kopftuch war es mehr oder weniger nackt! Außerdem wisse jeder anständige Afghane, dass ein Mädchen beim Radfahren seine Unschuld verliert, wie uns der Übersetzer tadelnd mitteilte. Weshalb auch kein einziges afghanisches weibliches Wesen Rad fährt. (Ich brauchte lange, um zu begreifen, was der Onkel empfand. Vermutlich das, was ich empfunden hätte, hätte ein unmöglich aussehender Ausländer mir stolz Fotos von Vanessa gezeigt, die nackt an der Stange tanzt!)
    Puh, das war schon mal gründlich danebengegangen. Ziemlich geknickt schlichen Heike und ich aus dem Männer-Besprechungsraum und schämten uns. Wir hatten einfach deutsche Maßstäbe angesetzt und waren davon ausgegangen, dass man sich hier darüber freute! Es hatte den Onkel einen feuchten Kehricht interessiert, wie es Shakila ging, ob sie lachte, ihren Albtraum vergessen konnte, Freunde gefunden hatte und in der Schule etwas lernte. Immerhin wurden wir in das Haus der Frauen geschickt, die irgendwie alle mit Shakila verwandt waren.
    »Oh, guck mal, wie süüüüß!« Heike wies mich auf eine junge, höchstens vierzehnjährige Mutter hin, die uns stolz ihre neugeborenen Zwillinge präsentierte.
    »Die sind ja wie Mumien eingewickelt und können sich gar nicht rühren!« Von wegen Strampelanzug. Später erfuhr ich, dass auf diese Weise der Rücken gerade werden soll – außerdem lernen die Kleinen durch das Einschnüren, sich unterzuordnen. Einige Frauen hatten noch ein Holzstück mit einem daran angebrachten Röhrchen eingebunden, durch das die Kinder Pipi machten. (Von Pampers hatte man hier noch nie etwas gehört.)
    »Ein Pärchen!«, stellte ich fest und blieb im selben Atemzug wie erstarrt stehen. »Der Junge ist ja viel dicker und rosiger als das Mädchen!«
    Das Mädchen wog gerade mal ein Drittel des wohlgenährten Wonneproppens und wimmerte vor sich hin. Vor meinem inneren Auge sah ich schon einen neuen Rahim die Weltherrschaft an sich reißen.
    »Ähm … hallo? Kann uns das hier mal einer erklären?«
    Der Leiter der Hilfsorganisation in Peshawar, der die medizinischen Hilfsgüter zwischengelagert hatte – und vermutlich auch den falschen kleinen Patienten ins Flugzeug gesetzt hatte –, kam
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