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Drachenkinder

Drachenkinder

Titel: Drachenkinder
Autoren: Hera Lind
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Gebetsmütze auf dem Dreirad durch die Gemüserabatten fuhr. Die dunklen Augen darunter funkelten triumphierend: Jawoll, die Salatköpfe waren skalpiert! Nieder mit der Schnehage-Mama!
    Sybille, dachte ich, du bist bekloppt! Jetzt hast du dem Kleinen schon die überlebenswichtige Behandlung ermöglicht – ist das etwa nicht genug? Nein, jetzt musst du ihn auch noch in deine Bergfelder Idylle holen. Wart’s ab, bald schießt der noch mit der Gummiflitsche auf dich! Und dafür mästest du ihn auch noch! Der afghanische Mini-Bud-Spencer verdrückte nämlich zu jeder Mahlzeit sieben Salami-Brote. (Da fuhr er voll drauf ab. Kein Mullah konnte ihm hier einen vom Schwein erzählen!) Aber sollte ich ihm böse sein?
    Als Nächstes trat er den Fußball gegen mein Küchenfenster.
    »He, Kleiner! Du sollst doch mit dem kaputten Bein noch nicht Fußball spielen!«
    Klirr, war die Antwort: Die Frau schweige in der Küche.
    Na gut. Ganz wie er wollte. Was konnte schon Schöneres passieren, als dass dieser Knabe wieder Spaß am Leben hatte? Blöd nur, dass er meine beiden mühsam erzogenen Kinder zu immer neuem Unsinn anstiftete. Spätestens als Simon und Vanessa mir kichernd eine lange Nase zeigten, beschloss ich, den Knaben etwas härter anzufassen.
    »He! Rahim! Was tust du da? Lässt du wohl die teure Vase … RAHIM !«
    RAWUMM !!
    Das Hochzeitsgeschenk meiner Eltern lag in tausend Scherben auf dem Wohnzimmerparkett. Mit hämischem Lachen verkrümelte sich Rahim, humpelnd zwar, aber siegesgewiss. Sein Triumphgeheul durchzog die angrenzenden Nachbargärten.
    Wahrscheinlich würden Simon und Vanessa demnächst auf seinen Vorschlag hin den Konzertflügel zertrümmern, wenn ich jetzt nicht Grenzen setzte! Ich knallte den Staubsauger in die Ecke und durchmaß mit wütenden Schritten den Garten. So, Freund der Berge. Jetzt reicht’s! Egal wie groß Allah ist, jetzt gibt’s Ärger.
    Der kleine Macho konnte es kaum glauben, dass ein Weibsbild es wagte, ihn am Schlafittchen zu packen und ihm einen leichten Klaps auf den Po zu geben. Tja, so weit war es nun schon gekommen: dass ich das arme, kriegsversehrte Kind verdrosch. Aber Rahim hatte es nicht anders verdient.
    Tödlich beleidigt ging er seiner Wege und sprach fortan kein Wort mehr mit mir.
    Während ich dem schmollenden Rahim die siebte Stulle schmierte, überlegte ich schon allen Ernstes, ihn um Verzeihung zu bitten.
    Spinnst du, Sybille? Der muss DICH um Verzeihung bitten! So ist die Sachlage!
    Ja, aber was, wenn er das nie gelernt hat? Frauen bittet man als afghanischer Kriegsheld nicht um Verzeihung! Wurscht!, dachte ich, reichte ihm den letzten Wurstzipfel, und er verschlang ihn beleidigt, während seine Augen Giftpfeile auf mich schossen. Unversöhnt gingen wir zu Bett. Rahim in das von Simon, Vanessa und dem Hund und ich in meins und Mickis.
    »Herzchen, das machst du alles freiwillig!«, sagte Micki lachend, als ich ihm von meiner täglichen Schlacht erzählte. »Außerdem hat mir die Vase sowieso nie gefallen.«
    Pah! Männer aller Nationen und Religionen halten doch zusammen, wenn es um schwiegermütterliche Vasen geht!
    Am nächsten Morgen, kurz vor sechs, krabbelte plötzlich ein schlafwarmes kleines Wesen in mein Bett und kuschelte sich an mich. Ich legte schlaftrunken den Arm um das Kind, in der Annahme, es sei Simon oder Vanessa. (Der Hund war es nicht.)
    »Hallo Mama«, kam es heiser aus Rahims Mund. Sehr viel wortreicher fiel seine Entschuldigung in der Rückwärtssprache nicht aus. Aber sie wurde natürlich angenommen.
    Rahim sollte noch einige Monate bei uns leben – und just nachdem er die Gebets- gegen eine coole Polizeimütze eingetauscht hatte, stand seiner Heimkehr nach Afghanistan nichts mehr im Wege. Sein Vater wartete bereits sehnsüchtig auf ihn. »Mama, ich will eigentlich bei dir bleiben«, beschloss der Mini-Machthaber, und fast wäre ich weich geworden. Aber Afghanistan brauchte starke Männer. Am Tag seiner Abreise habe ich den ganzen Tag geheult, und auch Micki hatte feuchte Augen. Ich sollte Rahim nie wiedersehen.
    Keine drei Tage später war Shakila da, ein sechsjähriges Mädchen, dem der Kiefer weggeschossen worden war. Ich lief buchstäblich Amok vor Mitgefühl.
    »Sybille, du kannst nicht alle verletzten Kinder bei uns aufnehmen!«
    Michael – so beeindruckt er auch war – hatte mir geraten, den Kreis der Helfer zu erweitern. Da Shakila sowieso in Hamburg behandelt werden musste – man transplantierte ihr aus einer Rippe einen neuen
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