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Drachenfliege Bd. 1 - Schatten über Schinkelstedt

Drachenfliege Bd. 1 - Schatten über Schinkelstedt

Titel: Drachenfliege Bd. 1 - Schatten über Schinkelstedt
Autoren: André Ziegenmeyer
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Trümmer stand, war ihrer Erfahrung nach nicht ganz unwahrscheinlich.
    Schließlich jedoch musste sie einsehen, dass sie sich getäuscht hatte.
    Vor ihr erstreckte sich das friedliche Idyll einer mondbeschienenen Lichtung mit einigen Abfallkörben, Sitzbänken und einem Aussichtspunkt. Dahinter erhellte die mittlerweile tief hängende Mondscheibe ein atemberaubendes Panorama des angrenzenden Tales. Und das war im Großen und Ganzen alles.
    Eine kleine, eiskalte Hand lief ihr auf Fingerspitzen durch den Magen und tippte immer wieder gegen besonders sensible Nerven. Erst ausgesprochen langsam entfaltete der Schreck seine volle Wirkung.
    Auguste Fledermeyer hatte ein recht umfangreiches Vorstellungsvermögen. Ihre magische Veranlagung sorgte dafür, dass ihr Bewusstsein mit der Zeit gewisse Auswölbungen bekam und nun über einige zusätzliche Dimensionen verfügte. Man sprach in diesem Zusammenhang von post-magikalen Dellen. Aus einer davon, einem dunklen, muffigen Kellerloch, kroch in diesem Augenblick ein ausgesprochen böser Verdacht auf sie zu.
    Vor einigen Kilometern war auf der Straße ein großes, metallenes Etwas mit enormem Getöse an ihr vorbeigerauscht. Etwas, das sich hinter zwei fahlen Lichtkegeln verbarg und, sobald sie wieder aus dem Graben geklettert war, einen großen Vorrat an Beschimpfungen auf sich zog.
    Auf der einen Seite beschloss die Hexe, ab diesem Zeitpunkt die Straße zu meiden. Auf der anderen Seite erhielt einer der allerältesten Instinkte durch diesen Vorfall weiteren, dringenden Vorschub. Jener Instinkt, der einen sofort ins traute Heim zurückkehren und sich mit einer Wärmflasche ins Bett legen ließ, wann immer die Welt plötzlich kopfstand.
    Im Falle von Auguste Fledermeyer war diese Regung jedoch von zweischneidiger Natur. Denn sollten weder Heim noch Wärmflasche mehr da sein, so konnte auch das jemand anderem mit glühendem Ingrimm heimgezahlt werden.
    Selbst darauf hatte sie sich noch ein bisschen gefreut.
    Als sie nun jedoch den säuberlich geharkten Kies unter ihren Stiefeln knirschen hörte, beschlich sie das Gefühl, dass die Dinge diesmal ein wenig komplizierter waren.
    Der kühle Nachtwind zupfte an ihren Kleidern, in der Ferne krächzte irgendein schlafloser Vogel, und Auguste spürte, wie etwas in ihr zu bröckeln begann. Sie war in ihrem Leben schon in manchen Schlamassel geraten, aber nie waren die Dinge einfach so über sie hinweggewalzt. Man hatte ihr wenigstens die Chance gelassen, sich zu wehren. Zumindest eine kleine. Das hier war… respektlos!
    Schwer atmend ließ sie sich auf eine der Bänke fallen. Man hatte ihre Hütte nicht einfach niedergebrannt, man hatte sie durch einen verdammten Rastplatz ersetzt!
    Niedergeschlagen ließ die Hexe ihre Beine baumeln und malte mit den Stiefelspitzen Muster in den Kies. Dann blickte sie zum Himmel empor. Irgendwo in ihrem Hals steckte ein tiefer Seufzer fest. Langsam glitten ihre Hände über das abgewetzte Holz der Sitzbretter. Wie lange war sie fort gewesen? Wie lange war letzte Nacht schon her? Der böse Verdacht richtete sich zu voller Größe auf und winkte ihr hämisch zu.
    Dann kehrten die Bilder zurück. Vom Scheiterhaufen, vom Entsetzen der Anderen und vom feinen Lächeln auf dem Gesicht des Inquisitors. Auguste konnte in ihrer Erinnerung sehen, wie das Wechselspiel von Licht und Schatten über seine Miene huschte, konnte jede einzelne Falte seines hageren Gesichtes erkennen.
    Entschlossen wischte sie diesen Gedanken beiseite und fegte zugleich einige alte Blätter von der Bank herab. Dann streckte sie sich mit mühsamen Bewegungen darauf aus. Es war eine lange Nacht gewesen. Der nächste Tag schien ihr ein paar Antworten schuldig, doch zuvor brauchte sie ein wenig Ruhe.
    Auguste spürte, wie ihr Zorn allmählich abkühlte und sich zu zähem, klebrigem Sirup verdickte. Sie wusste noch nicht, auf wessen Brot er landen würde. Aber solange sie ein wenig gerechte Wut ihr Eigen nannte, blieb ihr die Welt hinreichend vertraut. Einerlei, was geschah.
    Sollte es den werten Herrn Inquisitor noch geben, hatte er mittlerweile jedenfalls eine ganze Menge zu erklären. Auf eigentümliche Weise lag in dieser Vorstellung ein wenig Trost. Mit Hingabe malte sie sich aus, wie sein zufriedenes Lächeln bei nächster Gelegenheit von Verlegenheit und Pein überlagert wurde – und mit einem zufriedenen Lächeln grollte sie sich in den Schlaf.

Ein einsamer, träger Gedanke schwebte durch die Dunkelheit. Gemächlich trieb er dahin wie
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