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Drachenfliege Bd. 1 - Schatten über Schinkelstedt

Drachenfliege Bd. 1 - Schatten über Schinkelstedt

Titel: Drachenfliege Bd. 1 - Schatten über Schinkelstedt
Autoren: André Ziegenmeyer
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jedoch war es der Inhalt jener Kisten gewesen, der die Bezeichnung hervorbrachte.
    In diesem Moment fand sich Bruder Nikodemus an der Seite des Bischofs ein. Auch er gehörte zu den Angelegenheiten, die Korkenbaums Groll ständig wachsen ließen.
    Nikodemus von Schlupp, ins Geistliche ausrangierter Zweitsohn eines traditionsbewussten Adelshauses, trug ein Klemmbrett unter dem Arm und gehörte zur neuen Generation Kleriker, denen Eilfertigkeit und Diensteifer zur zweiten Natur geworden waren. Seine Familie hatte der Kirche einige Stiftungen vermacht und offenbar waren diese zu bedeutend, um ihren Sprössling in irgendeinem namenlosen Kloster endzulagern.
    Für die Dauer des Projektes war er dem Bischof als persönlicher Sekretär zugeteilt worden. Nur allzu gut konnte sich Korkenbaum vorstellen, wie sich der vormalige Besitzer vergnügt die Hände rieb. Soweit er wusste, handelte es sich bei dem jungen Mann um eine Art Wanderpokal.
    „Der Pilotversuch unserer ersten Testreihe hat vor exakt 2 Stunden und 23 Minuten begonnen, Hochwürden.“
    Mürrisch nickend betrachtete Bischof Korkenbaum die vor ihm stehende Kiste. So ziemlich jeder ihm bekannte Kulturkreis hatte auf ihr seine Spuren hinterlassen. In die von Rost zernagte Oberfläche waren Runen, Hieroglyphen und Keilschriftzeichen gegraben – sowie einige andere Dinge, die noch sehr viel abenteuerlicher wirkten. Auf der Vorderseite war eine Bleiglasplatte eingelassen, durch die man ins Innere des Behälters blicken konnte.
    „Ärger“, dachte er, während er hindurchschaute und eine Gänsehaut über seinen Rücken schlich, „großer, großer Ärger.“

Auguste Fledermeyer blickte an sich herab und verspürte ein mulmiges Gefühl. Die Hexe stand fest verschnürt an einem hölzernen Pfahl, während aus dem Holzstoß zu ihren Füßen die ersten Flammen hervorzüngelten. Die umstehende Menge verwandelte sich in ein Kabinett aus flirrenden Hitzeschemen, und an ihr Ohr drang ein heimtückisches Knistern und Knacken, das von höchst unerquicklichen Aussichten sprach.
    Mit aller Kraft warf sich die Hexe gegen ihre Fesseln, doch ohne Erfolg. Das Seil schnitt sich nur tiefer in ihre Haut. Zaghaft begann das Feuer an ihr zu lecken, und der Qualm stieg beißend in ihre Lungen. Kurz darauf umfingen die Flammen sie ganz. Außerdem erinnerte sich Auguste später noch an einen sinistren Landsknecht, der ihren Allerwertesten während der gesamten Prozedur mit einer Mistgabel malträtierte.
    Das aber war nicht das Schlimmste. Weit schwerer waren die Schreie zu ertragen, die von den anderen Scheiterhaufen herübergellten. Jeder einzelne von ihnen schnitt sich tief in Augustes Seele. Sie selbst verspürte keine Angst. Nur das ohnmächtige Verlangen, die Hände an jemandes Hals zu legen. Dann wurde es dunkel.

Heribert Müßiggang saß in einem prachtvollen barocken Arbeitszimmer. Die goldenen Strahlen der späten Abendsonne fielen durch hohe Bogenfenster hinein und spielten über die Gesichter kleiner Engelsputten. Pater Müßiggang liebte altmodisches Brimborium. Normalerweise vermochten die pausbäckigen Gesichter ihn stets aufzuheitern, doch an diesem Tag lag selbst auf ihnen ein Schatten.
    Sorgsam presste er das päpstliche Siegel auf ein bereitliegendes Dokument. Mit leisem Zischen senkte es sich in das heiße Wachs hinein. Heribert Müßiggang war der Vorsteher der päpstlichen Kanzlei, und als solcher fiel ihm die Ausfertigung zahllosen Papierkrams zu. Das vor ihm liegende Schriftstück jedoch stellte in seiner Karriere eine Ausnahme dar. Nachdenklich blickte er auf den geprägten Wachsfleck, der leiste knisternd abkühlte.
    Pater Müßiggang konnte sich nicht erinnern, wann jemand zum letzten Mal eine derart weitreichende päpstliche Vollmacht erhalten hatte. Vermutlich war dies seit Jahrhunderten überhaupt nicht mehr geschehen. Skeptisch musterte er das blasse, abweisende Gesicht seines Gegenübers, während er ihm die Urkunde aushändigte. Hoffentlich blieb ihm dieser Augenblick nicht als großer Fehler in Erinnerung.

Als Auguste Fledermeyer wieder erwachte, brauchte sie ein ganzes Weilchen, um die Baumwipfel vor ihren Augen davon abzubringen, beständig durcheinander zu tanzen. Ihr Kopf dröhnte. Es hatte nichts mit dem wohlverdienten Schmerz eines ausgedehnten Zechgelages zu tun. Vielmehr fühlte es sich nach dem Werk eines Gletschers an, der ungerufen und voll grimmer Felsbrocken aus düsterer Mitternacht erschienen war und ihr nun gemächlich von einem Ohr zum
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