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Drachenfliege Bd. 1 - Schatten über Schinkelstedt

Drachenfliege Bd. 1 - Schatten über Schinkelstedt

Titel: Drachenfliege Bd. 1 - Schatten über Schinkelstedt
Autoren: André Ziegenmeyer
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Hexen tatsächlich dazu zu bewegen, zweimal im Jahr nackt um ein Feuer zu tanzen. Besonders Mütterchen Gunhilda würde in dieser Hinsicht einiges zu sagen haben. Doch grundsätzlich wurde man sich einig.
    Noch einmal wurde die Arche feierlich herausgeputzt, und Anastasius XIII. verfasste eine zweite Ansprache. Diesmal war das Publikum deutlich gemischter. Mit großem Pomp und überschwänglichen Worten feierte man die gemeinsame Übereinkunft.
    Und nur allzu deutlich konnte Auguste sich daran erinnern, wie ihr und dem Bischof die Gesichter entglitten, als man sie auf dem Höhepunkt der Zeremonie mit ihren neuen Ämtern vertraut machte.
    Zacharias Korkenbaum erbte die Rechte und Pflichten Theodosius de Vendettas und wurde der neue kirchliche Repräsentant vor Ort. Der junge Leonardo zeigte nach seiner Befreiung kein Interesse mehr an kirchlichen Ämtern. Er bat lediglich darum, sich auf seinen Privatbesitz
zurückziehen zu dürfen, möglichst weit entfernt von den anderen Mitgliedern seiner Familie.
    Auguste selbst machte man zur Minderheitenbeauf-tragten im Vatikan. Mit großer Mühe rang sie gemeinsam mit dem Bischof um Fassung und versuchte, den Wunsch zu verbergen, jemanden für diese Entscheidung zu schlagen.
    Es brauchte noch einmal eine Reihe energisch geführter Gespräche über Notwendigkeiten sowie einige zertrümmerte Einrichtungsgegenstände, doch letztlich fügten sich die beiden in ihr Schicksal.
    Rasputin erklärte sich ebenfalls bereit, bei den neuen Aufgaben mitzuhelfen und auf diese Weise vielleicht das Ansehen der Wolpertinger ein wenig zu verbessern. William und Lilly zogen es zunächst einmal vor, ihre Flitterwochen zu beenden. Vielleicht würden sie im nächsten Jahr zurückkehren, doch vorher wollten sie in Britannien ein paar alte Erinnerungen auffrischen.
    Von Theodosius de Vendetta sah man in all der Zeit nichts mehr, und noch immer wusste Auguste nicht genau, was aus ihm geworden war. Vielleicht hatte man den gleichen Fehler noch einmal begangen und ihn wieder Teil der eigenen Sammlung werden lassen. In diesem Fall stünde er vermutlich irgendwo in den verlassenen Gängen eines anderen Bergwerks.
    Doch seit sie einen sorgsam verriegelten Wagen ausgemacht hatte, der sie auf ihrem Weg nach Rom begleitete und kurz darauf in Richtung des Vatikanischen Gefängnisses davonrumpelte, hegte die Hexe einen anderen Verdacht. Vermutlich würde man ihn nicht wieder für die Ewigkeit konservieren, sondern lediglich gut verwahren und der Zeit ihren Lauf lassen. Langsam stand sie auf und trat ans Fenster. Obwohl Auguste wusste, dass es dafür noch etwas früh war, begann sie manchmal, sich ein bisschen alt zu fühlen.
    Die Bilder einzelner Wolken spiegelten sich in der Scheibe, während die Hexe hinausschaute. Eine träge Sonne neigte sich allmählich dem Horizont zu, und die Lage ihres Arbeitszimmers gewährte Auguste einen Blick auf einen schmalen Streifen des Petersplatzes mit seinen allmählich nachlassenden Touristenscharen. Auf der anderen Seite lag der Tiber, der sich wie eine breite Straße aus getriebenem Kupfer durch das Gewirr der Häuser wand. Rom, die ewige Stadt.
    So viele Zeitalter waren an ihr vorbei und durch sie hindurch gegangen. Alle hatten ihre Spuren in sie hineingegraben und doch Platz für etwas Neues gelassen, und das mittlerweile seit mehr als zwei Jahrtausenden. Einige Dinge schindeten zugegebenermaßen im Laufe der Geschichte mehr Eindruck und waren kaum zu übersehen, während andere sich langsam in unscheinbare Winkel zurückzogen – doch gemeinsam bildeten sie ein lebendiges Durcheinander, dessen Ende noch lange nicht abzusehen war.
    Augustes Blick glitt über die Dächer der Stadt hinweg und bohrte sich in die Ferne. Irgendwo dort lag ein kleines Mittelgebirge. Vermutlich waren die Leute noch immer damit beschäftigt, Schutt und Trümmer fortzuschaffen. Aber innerlich wusste die Hexe, dass inmitten all des Durcheinanders bereits etwas Neues begonnen hatte. Es würde nicht perfekt sein. Vermutlich verging sogar noch auf ausgesprochen lange Sicht kein Tag ohne deftigen Zank und Streit. Aber zum ersten Mal seit langer Zeit freute sie sich wieder auf die Zukunft

André Ziegenmeyer ist Periplanetaner, Journalist, Sprecher, Lesebarde und Verfasser von Alltagsmärchen. Er wurde 1983 in der Nähe von Hildesheim geboren, studierte in Leipzig und lebt inzwischen wieder in der niedersächsischen Steppe. Seine Texte neigen zum Fantastischen, zum Spiel mit der Wirklichkeit. Dann und
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