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Drachen der Finsternis

Titel: Drachen der Finsternis
Autoren: Antonia Michaelis
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eventuell schon wieder funktionierten.
    Ein Notaggregat röhrte vor dem Eingang des Ladens, denn der Strom war ausgefallen, wie er das so oft tut in Kathmandu, und der Ventilator über ihren Köpfen ratterte, gefüttert vom Strom des Aggregats. Zwei Fliegen waren auf der karierten Plastiktischdecke unterwegs durch eine Pfütze. Jumar trank Limonade und Christopher Tee.
    Sie sprachen über Europa und darüber, was man sich dort ansehen sollte.
    Der Geruch von Maggi -Instant-Nudeln schwebte aus einer Pfanne über einem offenen Feuer herüber.
    Jumar spielte mit dem dünnen grünen Strohhalm und betrachtete ein Hochglanzplakat an der Wand, auf dem aus unerfindlichen Gründen die Hochhäuser Frankfurts dargestellt waren.
    Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen – doch als er sich wieder umdrehte, war Christopher verschwunden.
    Der Stuhl ihm gegenüber war leer. Der Tee in der Blechtasse wurde kalt; ungetrunken.
    Er sah zu der schiefen Tür hinüber, auf der in großen Lettern BATH-RUM gepinselt stand. Doch die Tür war offen. Christopher war nirgends zu sehen.
    Jumar stützte den Kopf in die Hände und war in Gedanken über Europa versunken. Irgendjemand musste die Teetasse weggenommen haben, denn nach einer Weile merkte er, dass sie nicht mehr da stand.
    Und als er den Tee und die Limonade bezahlen wollte, schüttelte der kleine Junge, der mit einem dreckigen Lappen die Tische abwischte, verwundert den Kopf.
    »Ihr hattet nur Limonade«, erklärte er.
    »Mein Freund«, beharrte Jumar, »der mit mir hier saß. Ich will seinen Tee bezahlen.«
    Der Junge warf ihm einen merkwürdigen Blick zu.
    »Ihr seid alleine gekommen«, sagte er.
    Jumar blieb noch lange sitzen und wartete. Doch Christopher kehrte nicht zurück.
    Und schließlich stand Jumar auf und tauchte mit einem kaum hörbaren Seufzen ins Gewühl der Straße ein.

Deutschland
    Christopher saß auf seinem Bett und blinzelte. Jemand hatte angeklopft.
    Vor ihm lag ein zugeklappter Bildband.
    Draußen fiel Schnee in großen Flocken vom Himmel.
    Er schüttelte sich verwirrt. Er hatte im Schneidersitz gesessen, und sein eines Bein war eingeschlafen. Es klopfte noch einmal.
    »Ja?«, fragte Christopher. »Hallo?«
    Die Tür öffnete sich, und dort stand seine Mutter. Sie betrachtete ihn einen Moment lang mit einem seltsamen Ausdruck in den Augen – als hätte sie nicht erwartet, dass er »Ja – hallo?« sagen würde.
    Dann hob sie die Hand und wedelte mit einem Stück Papier.
    »Arne hat gemailt«, sagte sie. »Denk dir nur, Christopher. Er ist frei! Es geht ihm gut. Die anderen beiden Jungen sind auch schon auf dem Heimweg, und Arnes Flieger landet morgen früh um halb neun in München.«
    »Das ist wunderbar«, sagte Christopher und erhob sich etwas mühsam. »Aber mein Bein ist eingeschlafen.«
    Er nahm den Bildband vom Bett und legte ihn auf seinen Schreibtisch. Hinten auf dem Umschlag war ein kleiner Teeladen zu sehen, in dem an einem Tisch ein einheimischer Junge saß und Limonade trank. Das einzig Un-Einheimische an ihm war das ziemlich mitgenommene Red Hot Chili Peppers -T-Shirt, das er trug.
    »Ich muss bei Gelegenheit daran denken, diesen Bildband zurück in die Bücherei zu bringen«, sagte Christopher.
    »Hm, ja«, sagte seine Mutter. »Sag mal... seit wann hast du dieses weiße Hemd?«
    Christopher lächelte.
    Da vergaß sie das Hemd. »Hast du eigentlich schon mal von irgendjemandem gehört, dass du genauso aussiehst wie Arne, wenn du lächelst?«, fragte sie.
    »Oh ja«, antwortete Christopher. »Um ehrlich zu sein: in letzter Zeit sogar ziemlich oft.«
    Sie holten Arne alle zusammen vom Flugplatz ab. Der Flug hatte zwei Stunden Verspätung, und Christopher versicherte seinen Eltern immer wieder, dass sie sich keine Sorgen zu machen bräuchten.
    Als Arne hinter den Glaswänden der Gepäckausgabe-Halle auftauchte, winkte er so fröhlich wie immer. Sein Haar war wieder etwas kürzer, und er hatte sich den Bart abrasiert.
    »Was trägt er denn da unter dem Arm?«, fragte Christophers Mutter verwundert.
    »Donnerwetter, eine Bronzestatue!«, meinte sein Vater und grinste. »Eine Göttin oder so. Er wird doch nicht auf seine alten Tage an Geschmacksverirrung leiden?«
    Auf dem Heimweg im Auto saßen Arne und Christopher auf der Rückbank. Arne hielt die Statue auf seinen Knien.
    Es war die Figur eines Mädchens. Sie hatte kurzes Haar, lag lang ausgestreckt auf dem Rücken und war in ein Tuch gehüllt. Vielmehr sah es aus, als hätte jemand das Tuch über sie
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