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Dornroeschenmord

Dornroeschenmord

Titel: Dornroeschenmord
Autoren: Anna Kalman
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Mai 1978
    Kathy Sparks hat mir geschrieben und die Kopie eines Zeitungsartikels aus der »Newsweek« beigelegt. Er zeigt Frank im Kreise seiner Familie zum fünfjährigen Jubiläum seiner Zeitschrift. Ich wünschte, Kathy hätte es nicht getan. Ich will ihn nie wieder sehen und nie wieder etwas von ihm hören. Der Schmerz wird nie vorübergehen, und ich erlebe ihn ohnehin jeden Tag, wenn ich Edward ansehe. Er wird seinem Vater von Tag zu Tag ähnlicher. Manchmal ist es grauenvoll, und ich habe das Gefühl, innerlich zu verätzen.
     
    23. November 1990
    Die Wunden an meinem Kopf hören nicht auf zu eitern. Aber war es nicht meine eigene Schuld, den Kranz aus Rosen noch einmal auf meinem Kopf zu spüren? Es ist, als schwärte der Eiter aus meiner Seele an die Oberfläche und suchte so nach einem Weg, diesen Sumpf und diese Qual zu verlassen. Schon mein ganzes Leben empfinde ich dieses Leid. Ich sehne mich nach dem Tag, an dem es endlich vorbei sein wird, aber ich fühle, ich muß die Dinge selbst in die Hand nehmen, wenn ich sie ändern will, besonders jetzt, wo Edward ausgezogen ist und mit einer Frau zusammenlebt. Es ist unvorstellbar für mich. Mein kleiner Junge in den Fängen einer Sirene …
     
    18. Mai 2001
    Er ist tot. Frank ist tot. Verunglückt an der Seite einer jungen Frau. Charlotte Stokes. Und für die hat er sich scheiden lassen. In seinem Alter. Erst Isabelle, dann die kleine Charlotte, und was ist mir geblieben? Nichts. Höchstens eine kleine, schmerzliche Erinnerung. Nicht mehr. Ein zweites Mal wird mir das nicht passieren. Frank lebt ja weiter. In Edward. Und er wird mir nicht genommen werden. Bei Gott!
     
    Das Licht in Mandys Zimmer war verloschen. Sie hatte bis spät in die Nacht gelesen, doch dann waren ihr die Augen zugefallen. Obwohl die Müdigkeit durch ihren Körper gekrochen war wie ein pelziges Tier, war ihr Schlaf unruhig, die Augäpfel hinter ihren Lidern zuckten im Traum, in dem sich die Ereignisse der Vergangenheit mit denen der Gegenwart mischten.
    Im Erdgeschoß fiel eine Tür mit einem vorsichtigen Schnappen ins Schloß, und ein Schatten bewegte sich lautlos über die Treppe. In der reglosen Stille war der leise keuchende Atem kaum zu hören. Stufe um Stufe wurde die Treppe zum Zimmer der rothaarigen Frau erklommen. Durch die Scheiben der Sprossenfenster fiel ein Streifen fahlen Mondlichts.
    Ein leises Geräusch ließ die Person aufhorchen, und angestrengt lauschte sie nach der Ursache: Wasser rauschte, und die Tür des Badezimmers klappte. Im selben Moment ging das Licht im Treppenhaus an. Die Schritte verstummten, und hastig suchte die Person Schutz in der Dunkelheit einer Flurnische.
    Das ausgiebige Schaumbad hatte Dorothee müde gemacht, barfuß und im Bademantel huschte sie über die Holzplanken zu ihrem Zimmer. Sie sehnte sich nach der wohligen Wärme ihrer Daunendecke, doch bevor sie ihr Zimmer erreichte, raubte ihr die Wucht eines Schlages auf ihren Schädel den Atem. Mit einem Ächzen sackte sie zu Boden und blieb reglos liegen. Schwer und klebrig sickerte das Blut aus einer Wunde an ihrem Hinterkopf und hinterließ ein dunkelrotes Rinnsal auf dem weißen Frottee.
    Daß außer Mandy noch jemand im Haus war, hatte die Person nicht einkalkuliert. Mühsam schleifte sie die junge Frau über die Holzdielen zu einem der Wandschränke. Ich darf nicht vergessen, das Blut wegzuwischen. Schwer atmend öffnete sie eine der Holztüren und stieß den leblosen Körper mitleidslos hinein. Mit dem Zuklappen der Schranktür schien das letzte Hindernis überwunden, der Weg zum Ziel war frei. Niemand würde sie jetzt mehr aufhalten können. Nur noch dieses eine Mal, dachte die Person, während sie die letzten Blutspuren beseitigte, und nichts wird sich mehr zwischen uns stellen.
     
    Es war nur ein leises Summen, doch die Melodie des alten Kinderliedes drang tief in Mandys Unterbewußtsein. Sie erwachte und blickte im diffusen Mondlicht in die schwarzglänzende Mündung einer Pistole. Nein! Bitte nicht! Wie hatte Grasser sie hier gefunden? Während die Gedanken blitzschnell durch ihren Kopf rasten, wurde das Bild vor ihren schlaftrunkenen Augen immer klarer, und plötzlich erkannte sie, wer da vor ihr stand. Sie wollte nicht glauben, was sie sah.
     
    Edward meinte inzwischen die Wahrheit zu kennen und hatte alle Vorkehrungen getroffen. So sehr es ihn auch erschütterte, er hatte keine andere Wahl. Er mußte es tun, auch wenn er damit eine der bittersten Entscheidungen seines Lebens
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