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Dornroeschenmord

Dornroeschenmord

Titel: Dornroeschenmord
Autoren: Anna Kalman
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April 1963
    Ich kann nicht schlafen, denn ich habe ihn wiedergesehen. Sein Name ist Frank von Arnstein. Er ist Rechtsanwalt und stammt aus einer angesehenen Familie. Ich traf ihn heute abend auf dem Ball bei den Copelands. Zuerst habe ich ihn gar nicht bemerkt, aber dann, während ich mit Jimmy Dicks tanzte, da ging er mit einer brünetten Frau im Arm an uns vorüber.
    Ich habe ihn sofort erkannt. Mit seiner Größe überragte er alle anderen, und mit den dunklen Haaren und den graumelierten Schläfen sieht er einfach unverschämt gut aus. Außerdem – ich weiß nicht, ob es so war oder ob ich es mir nur einbildete – erkannte er mich auch, obwohl er sich nichts anmerken ließ, als wir einander vorgestellt wurden.
    Trotz meiner Aufregung hatte ich das Gefühl, als würde ich ihn schon lange kennen. Anstatt des üblichen Small Talks war ich mit ihm sofort in ein echtes Gespräch vertieft. Wir unterhielten uns über Literatur und Kunst und stellten bald fest, daß wir dieselben Maler und Autoren bevorzugen. Sicherlich wäre es eines der interessantesten Gespräche gewesen, das ich in New York bisher geführt habe, wäre da nicht immer sein besonderes Lächeln gewesen. Im Gegensatz zu anderen Menschen lächelt er nicht mit dem gesamten Mund, sondern zieht nur den rechten Mundwinkel schräg nach oben. Verbunden mit diesem intensiven, unergründlichen Blick hat es etwas Verwegenes, was mich über alle Maßen irritiert. Noch mehr irritiert hat mich allerdings, daß er mich um ein Wiedersehen gebeten hat. Ich habe natürlich zugesagt, konnte es kaum erwarten, daß er mich fragt. Wir werden uns »La Damnation de Faust« in der Met ansehen. Aber das ist mir eigentlich völlig egal. Wichtig ist nur, daß ich ihn wiedersehe.
     
    27. April 1963
    Heute morgen um zehn Uhr klingelte es. Es war ein Bote, der mir ein Geschenk von ihm brachte. Rosen. Dunkelrote Rosen. Aber nicht wie üblich als Strauß gebunden, sondern als Kranz. Dazu schrieb er: »Für Titania, deren Zauber noch immer wirkt. «
    Ich habe das Gefühl, als würde sich der schwarze Abgrund in mir endlich schließen, als warte etwas Wundervolles auf mich …
     
    2. Mai 1963
    Es war der schönste Abend meines Lebens. Wir waren in der Oper! Die Musik war wie meine Empfindungen: aufwühlend, ergreifend, ungebändigt, anrührend. Er saß neben mir, und seine bloße Anwesenheit machte mich atemlos und verwirrte mich. Ich habe so etwas noch nie zuvor erlebt. Meine Hand zitterte, als ich nach dem Opernglas griff, ich konnte es gar nicht unterdrücken. Ich hoffe nur, er hat es nicht bemerkt.
    Dann, nach der Vorstellung, lud er mich noch zu einem Glas Champagner ein, in eine kleine Bar gleich bei der Oper. Eine Idee, für die ich dankbar war, denn gleich nach den ersten Schlückchen wurde ich ein wenig ruhiger, und es gelang mir, wie eine halbwegs Erwachsene Konversation zu machen.
    Als seine Hand wie zufällig über meine strich, spürte ich diese Berührung, als würde mein ganzer Körper davon ergriffen. Und als er mir dann in die Augen sah, mit diesem besonderen Blick, da wollte ich ihm nur noch nahe sein. Ich meine, wirklich nahe sein. Und ich glaube, er hat es gewußt. Als er fragte, ob wir gehen wollen, fragte ich gar nicht, wohin, sondern sagte einfach ja. Er rief ein Taxi, und wir fuhren zu ihm.
    Als ich am Morgen neben ihm erwachte, wußte ich, daß ich ihn liebe und daß sich daran niemals etwas ändern wird.
     
    Mandy klappte das Heft zu und legte es zur Seite. Es schien ihr kaum vorstellbar, daß diese Frau, die zu solchen Empfindungen fähig gewesen war, dieselbe sein sollte, die heute so stumm und abweisend in ihrer Villa residierte. Was war passiert, daß aus diesem lebendigen, jungen Wesen eine so freudlose Person geworden war?
    Wie besessen las Mandy weiter. Es folgte Seite um Seite, auf denen Gwendolyn von ihrer Liebe zu diesem Frank von Arnstein erzählte. Doch dann, drei Monate später, passierte etwas, was den dünnen Schleier aus Illusion und Wunsch vehement zerreißen ließ. Gwendolyns Schrift, die bislang leicht und elegant über die Seiten des Tagebuchs geflossen war, änderte sich auffällig: Sie war stellenweise unleserlich und so eckig, als wäre sie aus völlig verkrampfter Hand aufs Papier gekommen.
     
    5. August 1963
    Seit gestern weiß ich es definitiv: Ich bin schwanger. Ich habe es Frank noch nicht gesagt, und ich werde es ihm auch nicht sagen. Er wird heiraten. Aber nicht mich. Ich habe es gestern abend Susan McKenna sagen hören, und
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