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Dornroeschenmord

Dornroeschenmord

Titel: Dornroeschenmord
Autoren: Anna Kalman
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traf.
    Die Hände auf dem Lenkrad zitterten, als er durch die Dunkelheit fuhr. Es waren nur noch ein paar Kilometer, die vor ihm lagen, doch das Verlangen, bei Mandy zu sein, ließ die kurze Strecke wie einen endlosen Weg erscheinen. Angespannt trat er aufs Gaspedal, als wüßte er, daß ihm nicht mehr viel Zeit bliebe.
     
    Die Dornen des Rosenkranzes bohrten sich tief in ihre Kopfhaut, und Mandy spürte, wie ihr das Blut über die Schläfen rann. Sie kniete mit nackten Beinen auf dem Boden und starrte noch immer in die Mündung der Pistole. Wieso überraschte die Wahrheit sie so? Sie hätte es doch längst ahnen müssen, wer all die anderen Frauen umgebracht hatte und daß diese Person gerade sie niemals entkommen lassen würde.
    »Es tut mir leid, Malina, aber es bleibt mir nichts anderes übrig. Ich kann für dich keine Ausnahme machen.« Wie von ferne drang die Stimme, die sie schon so oft gehört hatte, zu ihr vor, und sie spürte, wie die Angst sie würgte.
    Während ihre Kniescheiben zu schmerzen anfingen, fragte sie sich, warum sie die Antwort nicht schon beim Lesen der Tagebücher entdeckt hatte. Wo sie doch die ganze Zeit so offensichtlich gewesen war wie die Mündung der Pistole vor ihr. Es war immer um Edward gegangen. Edward, der nach all den Enttäuschungen zu Gwendolyns einzigem Lebensinhalt geworden war, Edward, dessen Verlust an eine junge Frau für sie unerträglich gewesen wäre. Allein deshalb, weil sich die Geschichte damit wiederholt hätte.
    Mandy glaubte sich zu erinnern, daß die Morde begonnen hatten, kurz nachdem Frank von Arnstein tödlich verunglückt war. Damit war er für Gwendolyn für immer unerreichbar geworden und hatte somit in Gwendolyns Augen zum zweitenmal Verrat begangen. Und war Verrat nicht deshalb von solch immenser Bedeutung in Gwendolyns Leben, weil sie von allen, die sie geliebt hatte, verraten worden war? Die Mutter, die sich in den Tod geflüchtet hatte, um dem Vater zu entkommen. Der Vater, der Gwendolyn zeitlebens mißachtet hatte, und schließlich jener Frank von Arnstein, für den sie ihre Angst überwunden und den sie schließlich bedingungslos geliebt hatte.
    Im Grunde, schoß es Mandy durch den Kopf, hatte Gwendolyn es lange Zeit sehr gut verstanden, die Zerstörtheit ihrer Psyche zu verbergen, obwohl ein aufmerksamer Beobachter durchaus gewisse Anzeichen hätte wahrnehmen können. Mandy erinnerte sich lebhaft an Gwendolyns pathologischen Drang zur Reinlichkeit. So als hätte sie versucht, durch die absolute Ordnung und Sauberkeit in ihrer Umgebung das Chaos und den Schmutz in ihrem Inneren zu beseitigen.
    Wie die Fetzen eines zerrissenen Stoffes flogen die Gedanken durch Mandys Kopf, während sie noch immer auf die Pistole starrte und krampfhaft überlegte, wie sie ihren Tod hinauszögern könnte. Langsam hob sie den Kopf und sah Gwendolyn geradewegs in die Augen.
    »Warum willst du auf einmal eine Pistole benutzen? Du würdest damit Spuren hinterlassen, das hast du bisher doch vermieden?« Dorothee, Dorothee! Hilf mir, hilf mir doch! Hätte Mandy gewußt, daß ihre Freundin bewußtlos in einem Wandschrank lag, hätte sie jegliche Hoffnung verloren.
    »Ich habe nicht vor, dich zu erschießen. Du wirst genau wie deine Vorgängerinnen sterben – schnell, schmerzlos und ohne sichtbare Verletzungen. Aber du wirst sicher verstehen, daß ich die Pistole zur Kontrolle brauche – oder wie sonst sollte ich dich zum Stillhalten bewegen, während ich mein Werk vollende?«
    »Und warum der Rosenkranz auf meinem Kopf?« Mandy schrie fast. Sie hatte die Hoffnung, daß Dorothee sie hören konnte, immer noch nicht ganz aufgegeben. Aber nichts im Haus regte sich.
    »Reg dich doch nicht so auf, meine Liebe«, Gwendolyn klang merkwürdig sanft, so als ob sie die Situation überhaupt nicht wahrnehmen würde. »Die Rosen sind ein Symbol.«
    »Ein Symbol? Für was?«
    »Für das Verderben. Für das Verderben, das die Liebe in mein Leben gebracht hat. Genau wie du, wie Mona Krug, wie Elisabeth Heller und wie all die anderen.«
    Die Pistole an Mandys Schläfe gedrückt, begann Gwendolyn ihr das schweißnasse Haar aus dem Nacken zu streichen. Strähne für Strähne wickelte sie um die Dornenkrone, während sie immer wieder dieselbe Melodie summte: »We lay my love and I beneath a weeping willow, but now alone I lie and weep beside the tree …«
    In ihrem weißen Nachthemd am Boden kniend, erinnerte Mandy an eine Verurteilte, deren Leben durch die Guillotine ausgelöscht werden
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