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Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Titel: Dornröschen schlief wohl hundert Jahr
Autoren: Gunnar Staalesen
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Patina von Reife, weltgewandter und erfahrener Sinnlichkeit. Sie sah aus, als hätte sie die Jahre gut genutzt – und als wüsste sie auch, was sie mit dem Rest ihres Lebens anfangen würde.
    Als sie mich entdeckte, lächelte sie leicht und kam mit einem etwas wiegenden Gang, mit schwingenden Hüften und einem zitternden, aufgesetzten Zug um den Mund auf mich zu. Ich stand verwirrt auf und sagte: »Hallo.«
    Sie blieb vor meinem Tisch stehen, gab mir die Hand und sagte: »Guten Tag, Veum. Erkennen Sie mich nicht wieder?«
    »Ich – doch, natürlich, aber …« Jetzt sah ich, dass sie ihren Mund voller gemalt hatte, als er war, dass die Augen dieselben waren, dass ihre Zähne noch immer etwas zu klein und etwas zu gelb waren. Aber ihr Körper hatte eine imponierende Wirkung. Sie wirkte deutlich größer, schmal um die Taille, ohne ein Kilo zu viel irgendwo. Sie musste lange gebraucht haben, um sich so einzuschnüren. Oder ich hatte sie vielleicht nie so genau angesehen – vorher. Ich fragte mich, was sie wohl für Unterwäsche trug.
    Der Auftritt war beeindruckend. Ich fühlte mich ganz benommen, als ich mich wieder hinsetzte. Aus der Ferne hörte ich sie einen Whisky auf Eis bestellen, pur. Sie schüttelte ihr Haar, ihre Perücke. Die Locken saßen wie gemeißelt, die wenigen Korkenzieher am Hals und im Nacken schwangen natürlich mit ihren Bewegungen. Wenn man nicht wüsste …
    Der Barkeeper war schnell zurück mit ihrem Drink und einem Glas gesalzener Erdnüsse. Sie bezahlte mit weltgewandter Miene und gab reichlich Trinkgeld. Der Barkeeper warf einen schnellen Blick in meine Richtung: so soll es sein. Der Mann in dem hellen Mantel hatte wieder angefangen zu drehen. Die beiden Frauen hatten jegliches Interesse an mir verloren.
    Sie steckte sich eine lange, weiße Zigarette zwischen die Lippen. Bevor ich meine Streichhölzer hervorgeklaubt hatte, hatte sie sie sich mit einem schlanken goldenen Feuerzeug selbst angezündet. Ihre Hand zitterte kaum merkbar, und sie musste sie mit der anderen stützen. »Und?«, sagte sie.
    »Sie – Sie … sind anders«, sagte ich.
    »Finden Sie?«, sagte sie abwartend, als erwarte sie, dass ich sie mit Komplimenten überhäufte.
    Ich blieb stumm.
    »Na dann, prost«, sagte sie. Wir hoben unsere Gläser und tranken. Die Eiswürfel klirrten. Ein Mann in dunklem Anzug hatte sich zu den beiden anderen Frauen gesetzt. Die mit der Zimmernummer in den Augen lachte laut und unschön. Die andere war im Begriff zu gehen.
    »Bin ich – so wie Sie mich haben wollten?«, fragte sie.
    »Ja, ich – ungefähr so hatte ich es mir vorgestellt. Es ist tatsächlich kein Wunder, dass niemand Sie erkannt hat. Der Beschreibung nach, meine ich.«
    »Nein?«, sagte sie in neckendem Ton. »Schon möglich.«
    »Was war es eigentlich, das …«
    »Noch nicht«, unterbrach sie mich und legte eine Hand auf meine. Sie war klein, weiß und weich. Sie drückte kurz meinen Handrücken. »Lassen Sie es uns erst ein wenig nett haben. Ich werde Sie zum Essen einladen, wenn ich darf. Geben Sie mir diese kurze Zeit, bevor …«
    Es lag ein trauriger Zug um ihre Lippen und etwas Dunkles war in ihren Augen, das vorher nicht da gewesen war.
    Ich nickte. »Also gut.« Ich entzog ihr meine Hand, um mein Glas zu heben. »Haben wir ein – gemeinsames – Gesprächsthema? Ein anderes, meine ich?«
    »Vielleicht die Liebe?«, sagte sie in dem gleichen leichten, neckenden Ton.
    Ich lächelte schief. »Ja, vielleicht.«
    Sie trank einen Schluck und sagte: »Aber warum wird es immer so banal, wenn die Leute etwas über die Liebe sagen wollen.«
    Ich war auf dem Boden meines Glases angelangt. »Weil man darüber niemals etwas sagen kann, das nicht schon einmal gesagt wurde. Weil die Liebe jedes Mal neu ist, aber genau so alt wie die Erde selbst. Weil alles immer wieder von neuem geschieht – dasselbe Glück, dieselbe Trauer. Wir machen die gleichen Fehler wie die Menschen vor tausenden von Jahren, und das ist uns noch nicht genug. Wir wiederholen sie auch in unserem eigenen, kleinen Leben ständig.« Nach einer kurzen Pause sagte ich: »Da hören Sie es also. Es ist schon alles gesagt. Sie werden nichts Neues hinzufügen können.«
    Sie sah mich durch den Rauchschleier ihrer Zigarette nachdenklich an. Als hätte sie kein Wort von dem gehört, was ich gesagt hatte, sagte sie: »Ich glaube, der Fehler, den die meisten von uns machen, ist, dass wir mit viel zu großen Erwartungen in die Ehe gehen.«
    Die Bar leerte sich langsam.
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