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Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Titel: Dornröschen schlief wohl hundert Jahr
Autoren: Gunnar Staalesen
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könnten uns vielleicht in der Stadt treffen, vielleicht in einem Restaurant, eine Kleinigkeit zu essen bestellen, vielleicht ein Glas Wein trinken und reden, über – Vergangenes.«
    »Das …«
    »Ich dachte, du könntest dich vielleicht ein bisschen hübsch machen …«
    Stille.
    »Du könntest ein schönes Kleid anziehen und … die blonde Perücke aufsetzen. Ich habe gehört, sie steht dir so gut.« Ihre Stimme kam von weit, weit her, fremd und leicht und fast unhörbar: »Wo sollen wir uns treffen? Und wann?«
    Ich nannte ihr einen Ort und eine Uhrzeit, und sie sagte: »Ich werde da sein. Aber warte in der Bar auf mich – bitte …«
    Dann legte sie auf, und ich saß da, mit dem Hörer in der Hand. Meine Handflächen trieften vor Schweiß, der Hörer war kalt und nass. Mein Herz fühlte sich an wie ein voller Aschenbecher, in dem gerade jemand seine allerletzte Zigarette ausgedrückt hatte.

44
    Obwohl es noch früh am Nachmittag war, war es in der Bar schon dämmrig. Die Atmosphäre in dem kleinen, engen Raum mit den braunen Holzwänden, den grau-weißen Kupferstichen und der gedämpften Beleuchtung war zeitlos. Wenn man sich erst einmal darin befand, hatte man keine Ahnung mehr, ob es Sommer oder Winter, Herbst oder Frühling war. Ab und zu wusste man es auch wirklich nicht mehr – je nachdem, wie viel man getrunken hatte.
    Ich bestellte einen Wodka mit Eis und setzte mich mit dem Rücken zur Wand an einen kleinen runden Tisch. Ich hatte ein nervöses Gefühl im Bauch und brauchte etwas, um mich zu beruhigen.
    Es war relativ leer. Am anderen Ende des Raumes saß mit dem Rücken zur Wand ein Mann mittleren Alters in einem hellen Mantel und drehte sich mit verbissener Konzentration eine Zigarette. Sein Gesicht war eines von denen, die ganz oben breit anfangen und weiter unten immer schmaler werden, bis es so aussieht, als verschwänden sie einfach im Hemdkragen. Ich weiß nicht, ob er die ganze Zeit an ein und derselben Zigarette drehte, oder ob er für bessere Zeiten vorsorgte. Jedenfalls drehte er immer, wenn ich zu ihm hinübersah.
    An einem Tisch in meiner Nähe saßen zwei Frauen Anfang dreißig. Sie hatten die Köpfe zusammengesteckt und sprachen mit ernsten Gesichtern, wie zwei Geschäftskollegen bei einer wichtigen Konferenz. Beide zeigten tiefe Ausschnitte, und die eine trug ein Kleid mit einem Schlitz, der fast bis zur Taille reichte. Die andere, eine dunkelhaarige, ziemlich hübsche junge Frau, wenn man Coca-Cola mag, sah mich starr an, jedes Mal, wenn ich in ihre Richtung sah, und um ihre Lippen spielte ein einladendes Lächeln. Man konnte beinahe die Zimmernummer in ihren Augen lesen.
    Der Barkeeper kam mit meinem Drink, wischte den Tisch mit einem Tuch ab, bevor er das Glas abstellte, und nahm die Bezahlung mit einer Miene entgegen, als sei das das Wenigste, was er erwartet hatte. Dann stellte er sich wieder hinter seiner Theke auf und vergrub sich mit einem Gesichtsausdruck wie eine gefangene Sphinx in den Tageszeitungen.
    Ich saß da mit meinem Drink. Die zerdrückten Eiswürfel schwammen wie Eisberge in der klaren Flüssigkeit, und die Außenseite des Glases beschlug schnell. Ich war nervös. Der Mann am anderen Ende des Raumes drehte und drehte. Beide Frauen hatten große, wohlgeformte Brüste. Jedenfalls sah es auf dem Werbeplakat so aus. Der Barkeeper blätterte um.
    Die Frau, die hereinkam und in der Türöffnung stehen blieb, gehörte zu dem Typ Frau, der alle im Raum dazu bewegt, sich umzudrehen und zu verstummen, wenn sie erscheint. Der Mann in dem hellen Mantel hörte für einen Moment auf zu drehen, und sein Gesicht wurde noch einen Deut länger. Die beiden Frauen sahen sie feindlich an, mit schlecht verhohlener Eifersucht. Ich erkannte sie tatsächlich nicht wieder.
    Sie trug ein enges rotes Kleid, das ihre augenscheinlich perfekte Figur hervorhob. Ihr Haar war blond mit silbernen Strähnen, ihre Haltung entspannt, selbstsicher und sinnlich. In der einen Hand trug sie eine kleine Tasche und über der Schulter eine lose hängende Jacke. Ihre Augen und ihr Mund waren schwarz und rot umrandet, so diskret, dass es fast natürlich wirkte, aber dennoch mit einer Raffinesse, die sie zu einer ungewöhnlichen Schönheit machte. Ich erkannte sie wirklich nicht wieder.
    Das einzige, was sie nicht hatte verändern können, waren die weichen Partien in ihrem Gesicht: die Tränensäcke unter den Augen und die kleine Fettschicht unter dem Kinn und am Hals. Aber das gab ihr nur eine besondere
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