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Dornen der Leidenschaft

Dornen der Leidenschaft

Titel: Dornen der Leidenschaft
Autoren: Ma2
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würden.
    Seit ihrer Kindheit hatte sie solche merkwürdigen Gedanken gehabt, hatte vor ihrem geistigen Auge einen Mann gesehen, von dem sie wußte, daß er ihr eines Tages bestimmt sein würde. Sie konnte sich sogar daran erinnern, wie sie ihn das erste Mal gesehen hatte. Sie schloß langsam ihre Augen und sah alles wieder so deutlich und klar vor sich, als ob es erst gestern passiert wäre.
    Aurora war zu der Zeit fünf Jahre alt gewesen, aber sie hatte schon gewußt, daß sie nicht wie andere Mädchen war. Sie spielte zwar mit ihnen, aber immer nur mit ihrer halben Aufmerksamkeit, und es war, als ob sie immer auf die Ankunft von irgend jemand lauschte. Jedesmal, wenn ein Besucher kam, lief sie ans Tor, um zu sehen, wer er war. Nachdem sie ihn kurz betrachtet hatte, wirkte sie jedesmal sehr enttäuscht. Alle Leute – selbst Fremde – bemerkten das und machten sich ihre Gedanken darüber.
    »Es ist so, als ob sie jemanden erwartet«, meinten ihre Familienangehörigen, als immer wieder dasselbe passierte. Dann fragten sie sich verwirrt: »Aber wer könnte es sein?«
    Niemand wußte es – auch Aurora nicht. Sie wußte nur, daß sie unbedingt jedem Besucher ins Gesicht schauen mußte, der nach Quimera, zum Landsitz ihres Vaters, kam.
    Heute war ein besonderer Tag. Aurora wußte es schon, bevor er endlich auftauchte, der Mann, auf den sie so lange gewartet hatte.
    Sie hatte es geschafft, den achtsamen Augen ihrer Anstandsdame zu entkommen. Und jetzt lief sie leichtfüßig durch den wunderschönen Park von Quimera und achtete darauf, nicht mit dem alten Simon zusammenzutreffen, dem verrückten Gärtner, der, obwohl er harmlos war, sie immer wieder ein bißchen ängstigte. Sie kletterte auf einen Orangenbaum, über dessen Äste sie bis auf die steinerne Mauer steigen konnte, die den Garten einfaßte. Von diesem Platz auf der Mauer aus konnte sie meilenweit in jede Richtung schauen. Und nachdem sie eine Orange gepflückt, geschält und gegessen hatte, schaute Aurora neugierig in die Welt jenseits des Gartens hinaus.
    Im Schatten des Orangenbaums war es kühl, und seine belaubte Äste verbargen sie vor den suchenden Augen ihrer Anstandsdame. Aurora blieb lange dort sitzen und freute sich an ihrer neugewonnenen Freiheit.
    Es war Zeit für die siesta. Alles war ruhig, nur die Angelusglocke tönte von einem entfernten Kloster herüber. Aurora gähnte und rieb sich die Augen. Wie lang hatte sie schon auf der Mauer gesessen? Sie wußte es nicht. Bestimmt machten sich schon alle Sorgen über ihren Verbleib. In der Ferne hörte sie ihre Anstandsdame ihren Namen rufen.
    Plötzlich überfiel sie ein Schwindelgefühl, als ob sie sich zu schnell im Kreis herumgedreht hätte. Nebel hüllte sie ein. Die Zeit schien stillzustehen, dann machte sie eine Art Sprung. Wie aus dem Nichts erschien in dem sich lichtenden Nebel ein vornehm aussehender junger Mann.
    Er war groß und dunkelhaarig und saß auf einem weißen Araberhengst. Er hatte seinen Kopf triumphierend zurückgeworfen und lachte glücklich. Aurora war wie verzaubert und glaubte, daß sie noch nie einen so schönen Mann gesehen hatte.
    Als er näher herankam, fing ihr Herz wie wild zu pochen an. Endlich war er gekommen! Der Besucher, auf den sie so lange gewartet hatte! Woher sie das wußte, hätte Aurora nicht sagen können. Sie wußte nur, daß er endlich da war.
    Der sechzehnjährige Junge sah sie zuerst nicht, aber dann entdeckte er sie oben auf der Mauer und zügelte sein Pferd.
    »Buenos días, muñeca pequeña« ,grüßte er sie freundlich. »Was machst du denn da oben?«
    Kleine Puppe. Er hatte sie kleine Puppe genannt. Irgendwie gefiel Aurora dieser Name. Sie wurde rot und wußte nicht, was sie sagen sollte.
    Sie betrachtete ihn unauffällig. Wie komisch war er gekleidet! Er sah aus, als wäre er einem alten Ahnenporträt in der Bildergalerie von Quimera entsprungen. Dieser Gedanke nahm sie gefangen, daß es eine Zeitlang dauerte, bis sie sich klar darüber wurde, daß auch ihre Kleidung sich irgendwie verändert hatte. Sie war vollkommen überrascht. Wie konnte das sein? Vorsichtig berührte sie den steifen Brokatstoff des Kleides, das sie jetzt trug, wie um sich zu versichern, daß sie nicht ein Opfer ihrer eigenen Fantasie geworden war. Der Stoff fühlte sich echt an. Aber wie konnte das möglich sein?
    Aurora bemerkte, daß der junge Mann immer noch auf ihre Antwort wartete. Wie unhöflich mußte sie ihm vorkommen! Sie atmete tief ein und fand ihre Sprache
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