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Doppelte Schuld

Titel: Doppelte Schuld
Autoren: Anne Chaplet
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sollte.
    Mich zum Beispiel, dachte sie. Aber vielleicht hatte er längst genug von der Beziehung zu einer Tierärztin mit Neigung zur Schwermut?
    Zeit zu gehen. Neue Stadt, neues Glück. Sie war schon viel zu lange hier und auch noch aus dem falschen Grund: ein Mann.
    Katalina folgte Zeus durch das Tor in den Schloßhof. Neben Bergen von Sand und Kies blitzte die neue orangefarbene Mischmaschine. Der rechte Flügel des hufeisenförmig angelegten Barockbaus, der Gartentrakt, leuchtete frisch verputzt in warmen Ockertönen, frisch gestrichen waren auch die Rahmen der bodentiefen Fenster. Aus der Kapelle gegenüber wehte ein kühler Hauch. Nasses Mauerwerk. Der Putz, den man drinnen abgeschlagen hatte, wartete draußen neben dem Dixiklo auf den Abtransport. Es mußte jahrelang hineingeregnet haben in die Familienkapelle, die Bücher aus der Bibliothek im ersten Stock hatte man wegwerfen müssen.
    Katalina war der Geruch vertraut. Nichts konnte ihn auslöschen. Sie war mit ihm aufgewachsen, im Bauernhaus der Großeltern bei Glogovac. Wie armselig das Häuschen gewesen war, sah man an dem kümmerlichen Schutthaufen, den eine Panzerfaust an einem Frühjahrsmorgen daraus gemacht hatte. Aber über dem Geröll aus Steinen, Mörtel und Holz schwebte noch immer der Geruch nach Schimmel in den Wänden – obwohl keine einzige Wand mehr stand.
    Auch das war etwas, das sich gegen das Vergessen sträubte, obwohl es zu den Erinnerungen gehörte, auf die sie keinen Wert legte.
    Katalina hob den Blick. Die Uhr am Turm stand noch immer auf halb sechs, und die Statuen auf dem Sims darunter sahen grau und gebrechlich aus. Doch es war nicht zu übersehen: Die Rettung von Schloß Blanckenburg hatte Fortschritte gemacht. Ein Wunder, denn seine beiden Bewohner hatten bereits ihr ganzes Vermögen in den alten Kasten gesteckt, und die Banken weigerten sich, weitere Millionen bereitzustellen. Schließlich wollte man wissen, was aus dem Wahrzeichen des Städtchens einmal werden sollte – Heimatmuseum? Hotel? Denkmal? Oder wirklich nur der Altersruhesitz zweier einsamer Männer, beide ohne Erben und ohne Aussicht auf welche?
    Katalina dachte an Glogovac. Sie hatten zu viert mit zwei Ziegen, vier Schweinen und einem Pferd auf 60 Quadratmetern gehaust und sich wohlhabend gefühlt. Auf Schloß Blanckenburg im Ostharz, einst herrschaftlicher Sitz einer Familie mit Geschichte und Geschmack, einem barocken Koloß mit großzügigen Zimmerfluchten und zahllosen Dienstbotenkammern, hockten zwei Sonderlinge, die, wenn es so weiterging, im nächsten Winter das Heizöl nicht mehr bezahlen konnten: Gregor von Hartenfels, ein alter Mann, der keine Erben hinterließ, außer diesem auch nicht mehr ganz jungen Mann, Moritz von Hartenfels, den der Graf aus Dankbarkeit adoptiert hatte.
    Katalina hob das Gesicht in die Morgensonne. Im Turmflügel des Schlosses rührte sich nichts, nur ein halbes Dutzend Pfaue ordnete sich auf der Freitreppe gelangweilt die Federn. Den alten Grafen würde man vor Mittag nicht zu sehen bekommen, er war kein Frühaufsteher.
    Sie kehrte dem Schloßhof den Rücken, blickte noch einmal zum ersten Stock des Traiteurshauses hoch und ging an der Schloßmauer entlang zum Kutscherhaus im unteren Teil des Parks. Hier wohnte sie, schon seit fast drei Jahren. Eigentlich hatte das eine vorübergehende Lösung sein sollen, aber sie war noch immer hier. Das Haus hatte eine Runderneuerung so dringend nötig wie das Schloß, aber das störte sie nicht. Dann mußte man auch nicht renovieren, wenn man wieder auszog, was täglich näherrückte.
    Katalina holte den Hausschlüssel aus der Hosentasche und sah sich nach Zeus um. Aber der Hund war ihr nicht gefolgt, sondern stand wie gebannt am Wegesrand, die Rute waagerecht nach hinten gestreckt, die Ohren aufgestellt, soweit das möglich war mit diesen unmöglichen Schlappohren, die Nase witternd in der Luft, bereit zum Sprung. Gleich würde er losschnellen und die Maus zu fassen kriegen oder was immer er da belauerte.
    Vor ihrem inneren Auge tauchte für einen Moment Anubis auf, der schakalköpfige Gott. Ihr war, als grinste er.
    Zeus sprang nicht. Er gab einen Laut von sich, der ihr in den Magen fuhr, einen Urlaut aus Verwirrung und Schmerz. Mit gespannter Aufmerksamkeit starrte er in das Gebüsch, bis sie zurückkam und ihn am Halsband packte. Er bewegte den Schwanz, jedoch nicht freudig, eher so, als ob er ihre Anteilnahme zu schätzen wisse.
    »Ruhig«, sagte sie. »Es ist nichts.«
    Es ist nichts.
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