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Don Fernando erbt Amerika

Titel: Don Fernando erbt Amerika
Autoren: Ewald Arenz
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Anziehungskraft, dass um zehn Uhr morgens kein Durchkommen mehr wäre. Dennoch fand die kleine Gruppe Ritter zu Pferde einige Aufmerksamkeit, als sie, von der Burg herabkommend, beim Schönen Brunnen auf den Hauptmarkt einbog. Das lag zum einen an den prächtigen Rüstungen, die sie trugen und die sich in der tiefstehenden Januarsonne sehr hübsch ausnahmen – wenngleich hie und da jemand kritisch bemerkte, dass echte Rüstungen nie so silbern glänzen würden –, zum anderen jedoch daran, dass der Bürgermeister an den Schwanz des letzten Pferdes gebunden war und hinterhergeschleift wurde, wobei er jämmerlich um Hilfe schrie.
    »Schade«, bemerkte einer der Marktleute, »sie hätten ihm auch was Altes anziehen sollen. So ist es irgendwie unecht. Aber eine schöne Idee!«
    Der Anführer der Gruppe war im Vergleich zu seinen Kollegen eher klein gewachsen, aber dafür trug er eine schäbige Pfauenfeder amHelm. Auch hier waren sich Hausfrauen und Marktleute einig, dass man sich mit den Kostümen etwas mehr Mühe hätte geben können. Der Trupp bahnte sich einen Weg am Rathaus entlang, kümmerte sich nicht um die Hochzeitsgesellschaft, die eben vor dem Tor des Rathauses fotografiert werden sollte und ziemlich ungehalten Platz machte, bog an der Frauenkirche ab und zog stadtaufwärts gen Lorenzkirche. Der Bürgermeister im Schlepptau schrie jämmerlich. Einige Punks, die am Eingang zur U-Bahn herumhingen, machten abfällige Bemerkungen über die Wahlkampfstrategien der CSU, aber sie schlossen sich trotzdem an. Unter Protest natürlich.
    Als der kleine Trupp mit dem mittlerweile langen Tross auf dem großen freien Platz vor den imposanten Türmen der Lorenzkirche angekommen war, stiegen alle Ritter, bis auf den Anführer, ab. Die Menge hatte den üblichen Kreis gebildet und hie und da flogen auch schon Münzen in einen der achtlos beiseitegestellten Helme. Die Ritter nahmen mit geübten Griffen einige Holzstangen und -klötze aus den Packtaschen und hatten sie im Nu zu Pranger und Richtblock zusammengebaut, die nun genau in der Mitte des Platzes standen. Der Bürgermeister hing in seinen Fesseln und kreischte mit rotem Kopf: »So helft doch, helft doch!« und erhielt einen kleinen Extraapplaus. Einer der Ritter setzte ein Horn an und blies ein Signal. Daraufhin entrollte der Anführer ein Pergament und verlas in einer unverständlichen Sprache einige Sätze. Dann zog er seinen Degen und hielt ihn hoch in die Luft. Ein Raunen ging durch die Menge und es wurde einen Augenblick still. Es war ein außerordentlich schöner Degen – er sah aus, als würde er leuchten. Augenblicklich zerrten zwei Ritter den Bürgermeister zum Richtblock und zwangen seinen Kopf in den Pranger. Die Menge brüllte vor Lachen, weil das Gesicht des Bürgermeisters so komisch aussah. Der Ritter ließ den Degen in einer komplizierten Figur singend durch die Luft kreisen und dann genau vor dem Gesicht des Bürgermeisters in das Pflaster sinken, wo der Degen schwankend steckenblieb.
    Erst klatschte die Menge, aber als der Bürgermeister blau anlief und offenbar einen Herzinfarkt vortäuschte, fanden sie diese Art Wahlkampf nicht mehr lustig, gingen einfach auseinander, taten so, als hätten sie nichts gesehen, und fuhren fort, ihre Einkäufe zu erledigen. Währenddessen packten die Ritter wieder zusammen, hoben den strampelnden und vor Wut kreischenden Bürgermeister auf ein Pferd und verschwanden schnell und leise, wobei einer der Ritter fluchend seinen Helm noch einmal abnahm und diverse Münzen ausschüttete, die darin lagen. Nur die Punks fanden den Auftritt cool und einer von ihnen beschloss sogar, von nun an konservativ zu wählen.
    Sie hätten den Auftritt unter Umständen noch cooler gefunden, wenn sie gesehen hätten, dass die Ritter direkt hinter der Kirche von ihren Pferden stiegen, ihnen die Sättel und den Bürgermeister abnahmen und in einen Kleinbus wechselten, der in der Einfahrt zur Parkgarage der Deutschen Bank stand.
    Die Pferde – nunmehr im wahrsten Sinne des Wortes ungebunden – begaben sich zu Karstadt und fanden die Feinkostabteilung. Im Gegensatz zum Bürgermeister war der Tag für sie ein voller Erfolg.
    Christoph war – für sich betrachtet – nicht das, was ein unbeteiligter Beobachter für den Durchschnitt der menschlichen Rasse gehalten hätte. Zum einen war er dafür zu intelligent und zum anderen teilte er die Verachtung einzelner Individuen für den Rest der Menschheit nicht im gleichen Maße. Er neigte dazu, die
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