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Dom Casmurro

Dom Casmurro

Titel: Dom Casmurro
Autoren: Joaquim Maria Machado de Assis
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bewusst ist und nun alles unternimmt, um seine Schuld kleinzureden. So erhält auch der Nachbau der früheren Wohnung einen merkwürdigen Beigeschmack: Wie hält man es aus in Räumen, deren reale Vorlage doch alles andere als idyllisch war? Die nostalgischen Schwärmereien, gibt Machado de Assis zu verstehen, funktionieren nur auf Grundlage fest entschlossener Verdrängung. Die verflossenen Jahre waren längst nicht so angenehm, wie Bento es in der Rückschau gerne hätte. Damit aber geht es nicht mehr nur um einen individuellen Spleen. Bento alias Dom Casmurro steht für die große Zahl jener Brasilianer, die sich mit dem Sprung in die neue Zeit und den damit verbundenen Zumutungen nicht abfinden konnten.
    Machado de Assis selbst hatte für seine Vorbehalte gegenüber der falschen Nostalgie zahlreicher seiner Zeitgenossen gute Gründe. 1839 kam er in bescheidenen Verhältnissen zur Welt. Als Sohn einer von den Azoren stammenden Wäscherin und eines als Maler arbeitenden Mulatten hatte er einen unverkennbar dunklen Teint. Seiner Umgebung galt Machado nicht als Weißer, sondern als Schwarzer, zumindest aber als Mensch eindeutig dunkler oder anders: eindeutig nicht weißer Hautfarbe. Sie machte ihm ebenso zu schaffen wie sein Stottern und seine epileptischen Anfälle.
    Auch ließen die begrenzten Mittel der Eltern ein Studium nicht zu. Ebenso wenig konnte er sich eine Reise nach Europa leisten, die damals zum Pflichtprogramm bildungsbeflissener Brasilianer gehörte. Zwar verschaffte er, der sein Geld als Angestellter in verschiedenen Ministerien verdiente, sich in der literarischen Szene von Rio de Janeiro recht früh Anerkennung, doch der ganz große Ruhm blieb zunächst aus. 1897 aber wurde er Präsident der im selben Jahr gegründeten Academia Brasileira de Letras , der Brasilianischen Akademie für Dichtung. Zu diesem Zeitpunkt hatte er die meisten seiner großen Werke bereits geschrieben. In ihnen – allen voran den Romanen Memórias Póstumas de Bras Cubas (1881, Die nachträglichen Erinnerungen des Bras Cubas , Manesse 2003) und Quincas Borba (1891) – hatte er seinen Stil immer weiter verfeinert, verschiedene Erzähltechniken erprobt, insbesondere aber die für ihn so typische Ironie zu immer neuen Höhen getrieben. In ihrem Geist wandte er sich auch dem dringlichsten politischen Problem seiner Zeit zu: der Sklavenfrage. Von ihr fühlte er sich als Mulatte ganz besonders betroffen. Zwar ging die Leibeigenschaft zu seinen Lebzeiten unverkennbar ihrem Ende entgegen. Aber psychologisch wirkte sie noch nach: Viele Schwarze hatten ein geringes Selbstwertgefühl, sahen sich als Menschen zweiter Klasse, weit entfernt von jener Perfektion, wie sie – angeblich – den weißen Brasilianern eigen war. Zwar sprach man von der «limpeza de sangue» , der «Blutreinheit», nach der Unabhängigkeit nur noch hinter vorgehaltener Hand. Und auch das Wort von den «raças infectas» , den «verdorbenen Rassen» – gemeint waren die Mischlinge –, nahm man nicht mehr ganz so unbefangen in den Mund. Aber schon ein Begriff wie «mulato» lässt erkennen, welchen Rang dunkelhäutige Menschen in Brasilien weiterhin hatten: Das Wort leitet sich von «mulo» , «Maulesel» ab, jenes aus der Kreuzung von Pferden und Eseln hervorgehende Geschöpf, das selbst keinen Nachwuchs zu zeugen vermag.
    Als Nicht-Weißer hatte Machado de Assis allen Grund, zur Gesellschaft seiner Zeit auf Distanz zu gehen. Das tat er auch in der Sklavenfrage, wenngleich auf eher verhaltene Weise. Eifernde Bekenntnisse waren seine Sache nicht. «Ich war niemals ein Fürsprecher der Abschaffung der Sklaverei, und auch mein Amt ließ dies nicht zu», berichtet der Erzähler seines Romans Memorial de Aires . «Trotzdem gestehe ich, dass ich große Zufriedenheit empfand, als ich von der Entscheidung des Senats und unserer Königin hörte. Ich befand mich in der Rua do Ouvidor, wo große Erregung und Freude herrschten.» Ein Bekannter sei ihm begegnet und habe ihn eingeladen, mit ihm in seinem Wagen zu fahren. «Vor lauter Verwirrung hätte ich die Einladung fast angenommen. Doch meine ruhige Art, meine diplomatische Zurückhaltung, meine gesamte Veranlagung wie auch das Alter hielten mich zurück.» So klingt er, Machado de Assis. Fein, verhalten – und vor allem ironisch. Denn wohlgemerkt: Hier spricht nicht der Autor selber, sondern eine seiner Figuren. Und sie zeigt, wie verklemmt nicht wenige von Assis’ Zeitgenossen waren. Nicht einmal an einem Tag, der
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