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Dom Casmurro

Dom Casmurro

Titel: Dom Casmurro
Autoren: Joaquim Maria Machado de Assis
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gegenüber, mit demselben Lächeln und noch mehr Ehrerbietung in der Haltung, mit derselben Liebenswürdigkeit und Anmut. Ezequiel hatte sich sehr darauf gefreut, mich zu sehen. Die Mutter hatte viel von mir erzählt und mich in den höchsten Tönen gelobt, als den reinsten Menschen der Welt, der es verdiente, geliebt zu werden.
    «Selbst im Tod war sie noch schön», sagte er schließlich.
    «Lass uns zu Mittag essen.»
    Wenn du glaubst, das Mittagessen sei unerquicklich verlaufen, so täuschst du dich. Es gab zwar schlimme Minuten, weil es mich anfangs schmerzte, dass Ezequiel nicht mein leiblicher Sohn war, der mich hätte ergänzen und mir nachfolgen können. Wäre der Junge nach der Mutter geraten, hätte ich ihr am Ende vielleicht doch geglaubt, zumal er mich erst am Vorabend verlassen zu haben schien. Er erinnerte sich an seine Kindheit, an Situationen und Gespräche, an das Interna t …
    «Erinnern Sie sich noch an den Tag, als Sie mich ins Kolleg brachten?», fragte er mich lachend.
    «Warum sollte ich mich nicht daran erinnern?»
    «Das war in Lapa, und ich war so verzweifelt. Sie hielten nicht inne, zerrten mich weiter, und ich mit meinen kleinen Beine n … Ja, ich trinke gerne noch eines.»
    Er hielt mir sein Glas hin, damit ich ihm Wein einschenken konnte, trank einen Schluck und aß weiter. Escobar hatte ebenso gegessen, das Gesicht tief über den Teller gebeugt. Er erzählte mir von dem Leben in Europa, von seinen Studien, insbesondere von denen der Archäologie, seiner Leidenschaft. Er sprach voll Liebe über die Antike, erzählte von Ägypten und den vielen tausend Jahren, die es alt war, ohne sich bei irgendeiner Jahreszahl zu irren. Er hatte den mathematischen Kopf seines Vaters. Obwohl mir der Gedanke an Escobars Vaterschaft bereits vertraut gewesen war, gefiel mir diese Auferstehung nicht. Hin und wieder schloss ich die Augen, um seine Gesten und alles andere nicht sehen zu müssen, doch der kleine Teufel redete und lachte, und der Verstorbene redete und lachte durch ihn.
    Es blieb mir indes nichts anderes übrig, als ihn aufzunehmen. Also wurde ich zum echten Vater. Der Gedanke, dass er vielleicht irgendeine Fotografie von Escobar gesehen haben könnte, die Capitu aus Sorglosigkeit mitgenommen hatte, kam mir nicht, und wäre er mir gekommen, hätte ich ihn gleich wieder verworfen. Ezequiel glaubte an mich, wie er an seine Mutter geglaubt hatte. Wäre José Dias noch am Leben gewesen, hätte er mich in ihm erblickt. Base Justina wünschte Ezequiel zu sehen, und da sie krank war, bat sie mich, ihn zu ihr zu bringen. Ich kannte diese Verwandte. Ich glaube, ihr Wunsch, Ezequiel zu sehen, rührte daher, dass sie in dem jungen Mann jenes Bild wiederfinden wollte, das sie womöglich damals in dem Kind entdeckt hatte. Es wäre ein letztes Vergnügen für sie gewesen. Ich verhinderte es rechtzeitig.
    «Es geht ihr sehr schlecht», sagte ich zu Ezequiel, der sie besuchen wollte. «Jede stärkere Gefühlsregung kann ihr den Tod bringen. Wir besuchen sie, wenn es ihr wieder besser geht.»
    Dazu kam es nicht mehr; der Tod nahm sie wenige Tage später mit sich. Ezequiel betrachtete ihr Gesicht, als sie im Sarg lag, und erkannte sie nicht, aber das war nicht weiter verwunderlich, denn die Jahre und der Tod hatten sie sehr verändert. Auf dem Weg zum Friedhof erinnerte er sich an zahlreiche Dinge, an ein paar Straßen, einen Turm, einen Strandabschnitt, und freute sich sehr. So war es auch jedes Mal, wenn er abends nach Hause kam. Er sprach von den Erinnerungen, die ihm kamen, wenn er durch die Straßen ging und die Häuser sah. Und er wunderte sich, dass viele noch so aussahen wie früher, als müssten Häuser jung sterben.
    Nach sechs Monaten sprach Ezequiel von einer Reise nach Griechenland, Ägypten und Palästina, einer wissenschaftlichen Exkursion, die er ein paar Freunden versprochen hatte.
    «Welchen Geschlechts?», fragte ich scherzhaft.
    Er lächelte peinlich berührt und antwortete, Frauen seien Wesen, die so sehr im Heute und mit der Mode lebten, dass sie niemals eine drei Jahrtausende alte Ruine verstünden. Es handele sich um zwei Kommilitonen. Ich versprach, ihn zu unterstützen, und gab ihm gleich den ersten benötigten Geldbetrag. Mir selbst sagte ich, das Ergebnis der heimlichen Liebe seines Vaters sei nun, dass ich die archäologischen Studien des Sohnes bezahlte. Vielleicht bekäme er ja Lepr a … Als mir dieser Gedanke kam, fühlte ich mich so grausam und pervers, dass ich auf den Jungen
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