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Dom Casmurro

Dom Casmurro

Titel: Dom Casmurro
Autoren: Joaquim Maria Machado de Assis
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deren Schätze es auszubeuten und nach Europa zu verschiffen galt. Neben dem Holz konzentrierten sich die Kolonisten zunächst auf den Zucker, der in dem tropischen Klima bestens gedieh. Ende des 17. Jahrhunderts wurde nördlich von Rio de Janeiro Gold entdeckt. Das löste einen wahren Rausch aus und bescherte der Fundgegend ihren bis heute erhaltenen Namen: «Minas Gerais», «Allgemeine Minen». Als die Minen nach einigen Jahrzehnten erschöpft waren, nahm bereits der nächste Exportschlager Anlauf zu seinem bis heute andauernden Höhenflug: der Kaffee.
    Die intensive Exportwirtschaft war nicht denkbar ohne billige Arbeitskräfte. Die besorgten sich die Portugiesen, indem sie in Afrika auf Menschenfang gingen. 1482 gründeten sie im heutigen Ghana das Fort São Jorge da Mina, von dem aus sie die Gefangenen zuerst nach Portugal und dann nach Brasilien brachten. En masse deportierten sie in den kommenden Jahrhunderten Afrikaner in die neue Kolonie – gut vier Millionen Schwarze, schätzt man, wurden bis Mitte des 19. Jahrhunderts nach Brasilien verschleppt. Erst 1831 wird der Sklavenhandel von der brasilianischen Regierung unter internationalem Druck verboten. Doch ernst nimmt dieses Verbot kaum jemand. So braucht es noch einmal ein halbes Jahrhundert, bis die Sklaverei 1888 endgültig – und dann auch de facto – abgeschafft wird. Eine reichlich späte Entscheidung für ein Land, das sich seit der Unabhängigkeitserklärung darum bemühte, zum Kreis der «zivilisierten» Nationen gerechnet zu werden.
    Dem Eifer der Dichter konnte der Makel der Sklaverei indessen nichts anhaben. Sie malten das Land in leuchtenden Farben. «Tudo pelo Brasil, e para o Brasil» – «Alles durch Brasilien und für Brasilien», lautete etwa das Motto der 1836 gegründeten Zeitschrift Niterói. Der Dichter Gonçalves de Magalhães (1811–1882) verfasste eine programmatische Schrift, in der er einen dem nationalen Anliegen angemessenen Themenkatalog entwarf. Schreiben, empfahl er seinen Kollegen, sollten sie über Folgendes: die Schönheiten der Natur, die Religion, das Vaterland, die Indianer. Vordergründige Themen, gewiss. Aber sie vermittelten den Brasilianern erstmals eine Vorstellung davon, was es hieß, in einem eigenen, von der Alten Welt durchaus unterschiedlichen Land zu leben.
    Doch Magalhães lässt noch etwas erkennen: Schwarze, Sklaven zumal, kamen in der brasilianischen Literatur bis weit ins 19. Jahrhundert bestenfalls am Rande vor. Einzelne Dichter wie etwa Antônio Gonçalves Dias (1823–1864) machten sich zwar zum Fürsprecher der Leibeigenen, doch ihr Engagement blieb die berühmte Ausnahme von der Regel. Die meisten Autoren schufen ein ausgesprochen romantisches Bild von ihrer Heimat, das durch die Realität nicht gestört werden sollte – weder durch die Sklaven noch diejenigen Schwarzen, die bereits freigelassen worden waren und nun in immer größeren Massen in die Städte zogen, um dort ein Leben unter elenden Bedingungen zu fristen.
    Auch Machado de Assis hatte sich zunächst der romantischen Mode seiner Zeit angeschlossen. In Romanen wie Ressureição (1872), A Mão e a Luva (1874) oder Helena (1876) schlug er noch sanfte, elegische Töne an. Doch in seinem 1872 veröffentlichten Essay Instinto da Nacionalidade (etwa: «Instinkt für den nationalen Charakter») stellte er die literarische Entwicklung Brasiliens infrage. «Es besteht kein Zweifel», schrieb er in seinem Essay, «dass eine Literatur, insbesondere eine gerade erst entstehende Nationalliteratur, sich vor allem von den Bildern nähren muss, die ihre Region ihr schenkt.» Das war eine Konzession an den romantischen Zeitgeist, der auch in seinen Augen durchaus seine Berechtigung hatte. Aber, fuhr er fort: «Vor allem muss man von einem Schriftsteller verlangen, dass er einen gewissen Sinn für die Menschen seiner Zeit und seines Landes hat – und zwar auch dann, wenn er von Dingen schreibt, die von seiner Zeit und seinem Land weit entfernt sind.»
    Die weit entfernten Dinge aber waren den Brasilianern viel näher, als sie dachten. Sie gehörten zum neuen Zeitalter, das in Brasilien gerade Einzug hielt: das Zeitalter der Moderne mit ihren wachsenden Städten, ihren Straßenbahnen und Automobilen, ihren Telegrafenmasten und Schifffahrtslinien, die Brasilien fortan regelmäßig mit der übrigen Welt verbanden. «Was ist die Zeit?», fragt Machado de Assis in einem seiner Texte für die Zeitung Gazeta de Notícias . «Ist es die frische und träge
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