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Doktor Pascal - 20

Doktor Pascal - 20

Titel: Doktor Pascal - 20
Autoren: Émile Zola
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haftenblieb, waren einzelne Sätze, die sich seiner bisherigen Vorstellung von einer mit naturgesetzlicher Notwendigkeit abrollenden Entwicklung der Gesellschaft einzufügen schienen.
    Der Sozialismus mußte kommen, weil dies historisch und menschlich die unvermeidliche Konsequenz der ganzen bisherigen Entwicklung wäre.
    Auch im »Germinal« ist Etiennes letztes Wort »Evolution«, langsame, allmähliche Umgestaltung mit Hilfe demokratischer Reformen. Das Schlußbild der kommenden Saat ist keine zufällig gewählte Naturmetapher, sondern ein aus Zolas naturphilosophischer Interpretation gesellschaftlicher Vorgänge logisch sich ergebendes Symbol. Sicher hatte Zola im »Germinal« auch die Möglichkeiten einer revolutionären Umgestaltung der Gesellschaft durchgespielt. Aber die Revolution ist für Zola, ähnlich wie für die Bürger von Montsou, das rote Gespenst, bestenfalls der krankhafte Ausbruch einer kranken Zeit. Und so hatte Zola auch die Commune im »Zusammenbruch« dargestellt. Sie war die Götterdämmerung des Kaiserreichs. Der Ausweg aus den Wirren kam nicht von ihrer gesellschaftlichen Umwälzung, sondern von der biologischen Erneuerung durch die »gesunden« Kräfte des Volkes, durch Menschen wie Jean … Die Wiederaufnahme der gleichen Fragen in »Paris« und in »Arbeit« führte immer wieder zu den gleichen Antworten. Das Leben allein war gut. » … welch ein süßer Traum, sich der Hoffnung in die Harmonie des Lebens hinzugeben, des Lebens, das von selbst, seinen natürlichen Kräften überlassen, das Glück hervorbringen wird.« Zwar wird dieser süße Traum in dem Roman »Paris« als das Ideal der Anarchisten ausgegeben, aber Pierres eigenes Lebenskonzept, das er als Ergebnis seiner Erfahrungen, seines langen mühseligen Erkundungsganges durch die Reiche des Glaubens und der Wissenschaft, entwickelt, beruht letztlich auf den gleichen naturphilosophischen, besser gesagt lebensphilosophischen Grundpositionen. Nur bringt er mehr die aktivistische Seite ins Spiel. Die neue Religion, die er der Menschheit bringen möchte, wird alle natürlichen Kräfte des Menschen in Bewegung setzen: »die Triebe, die Leidenschaften, das freie Spiel des Intellekts, den Willen und die Tat, seine ganze Kraft. Und welch ein glückliches Erwachen, wenn die Jungfräulichkeit verachtet sein wird, wenn die Fruchtbarkeit wieder eine Tugend wird, im Hosianna der natürlichen befreiten Kräfte, wenn die Triebe geehrt, die Leidenschaften genutzt, die Arbeit erhöht, das Leben geliebt wird, das die ewige Schöpfung der Liebe hervorbringt.« Daß diese vitalistischen Gedankengänge in bedenkliche Nähe zu späteren verhängnisvollen Doktrinen geraten, darauf hat die Forschung zu recht kritisch hingewiesen.
    Das waren schon die Gedanken, die Pascal im zwölften Kapitel beim Überdenken seines Lebens und seines Tuns erfüllten: » … das Leben noch einmal von vorn beginnen können und es zu leben verstehen, den Acker bestellen, die Welt studieren, das Weib lieben, zur menschlichen Vollendung gelangen, zum zukünftigen Reich universellen Glücks durch die richtige Verwendung des ganzen Wesens …« Und es ist sicher kein Zufall, daß beide Romane, »Paris« ebenso wie »Doktor Pascal«, mit dem Bild einer glücklichen Mutter enden, die ihr Kind nährt, dem Ursymbol des Lebens. Aber auch das Evangelium der »Arbeit« endet mit einer ganz ähnlichen Vision. An der Schwelle des Todes überblickt Luc sein Werk, diesen Versuch, eine Keimzelle einer neuen Gesellschaft zu gründen, und träumt von ihrer Vollendung in der Zukunft. Alle Gesellschaftstheorien sind in der Praxis erprobt worden. Kollektivisten und Anarchisten haben die Welt regiert, und auch der letzte Krieg ist geführt, denn die Wissenschaft hatte sich inzwischen so entwickelt, daß die von ihr für einen Krieg bereitgestellten Vernichtungskräfte den Krieg selbst unmöglich machen. So war die vom Kriegsgespenst befreite Menschheit endlich in die Periode ihrer friedlichen Entwicklung eingetreten, in der die Kinder, das Unterpfand der Zukunft und des Lebens, vor Lucs innerem Auge friedlich im Sonnenschein spielen, die Ernte der Felder in Ruhe reift und die Menschen ihr Leben seiner Bestimmung gemäß leben können: in Wahrheit, Gerechtigkeit und Frieden. Mit dieser Zukunftsvision vor Augen kann Luc zufrieden sie für immer schließen: »Das Werk war vollbracht, die Stadt war gegründet. Und Luc verhauchte sein Leben und trat ein in den Strom ewiger Liebe, ewigen Lebens.«
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