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Doktor Pascal - 20

Doktor Pascal - 20

Titel: Doktor Pascal - 20
Autoren: Émile Zola
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entfuhr ihm ein leiser Ausruf.
    »Sieh mal einer an! Dein Vater ist zum Direktor von ›L˜Epoque‹ ernannt worden, der sehr erfolgreichen republikanischen Zeitung, in der jetzt die Papiere veröffentlicht werden, die man in den Tuilerien gefunden hat.«3 Diese Nachricht mußte für ihn unerwartet kommen, denn er lachte ein gutmütiges Lachen, das zufrieden und gleichzeitig betrübt klang, und halblaut fuhr er fort: »Wahrhaftig, man könnte die Sachen nicht einmal so schön erfinden … Das Leben ist doch seltsam … übrigens ist da auch ein sehr interessanter Artikel.«
    Clotilde antwortete nicht, als trennten sie hundert Meilen von dem, was ihr Onkel sagte. Und er schwieg wieder, er nahm die Schere, nachdem er den Artikel gelesen hatte, schnitt ihn aus und klebte ihn auf ein Blatt Papier, auf das er mit seiner groben und unregelmäßigen Schrift einige Bemerkungen schrieb. Dann ging er zum Schrank zurück, um diesen neuen Vermerk dort einzuordnen. Aber er mußte sich einen Stuhl nehmen, denn das obere Brett war so hoch, daß er trotz seiner Größe nicht hinaufreichen konnte.
    Auf diesem oberen Brett waren, methodisch geordnet, eine ganze Reihe riesiger Aktenstücke übersichtlich abgelegt. Es waren die verschiedensten Dokumente, handgeschriebene Blätter, Aktenstücke auf Stempelpapier, ausgeschnittene Zeitungsartikel, zusammengeheftet in Aktendeckeln aus starkem blauem Papier, und auf jedem dieser Aktendeckel stand in großen Buchstaben ein Name geschrieben. Man spürte, wie diese Unterlagen mit liebevoller Aufmerksamkeit laufend ergänzt, wie sie unaufhörlich zur Hand genommen und sorgfältig wieder an ihren Platz zurückgelegt wurden, denn im ganzen Schrank war allein diese Ecke aufgeräumt.
    Als Pascal, der auf den Stuhl gestiegen war, das gesuchte Aktenstück, eine der dicksten Mappen, auf der der Name »Saccard« stand, gefunden hatte, fügte er diesen neuen Vermerk hinzu und legte dann das Ganze wieder an seinen Platz nach der alphabetischen Reihenfolge zurück. Einen Augenblick verweilte er noch, richtete mit selbstzufriedener Miene einen Stapel wieder auf, der zusammenzufallen drohte. Und als er endlich vom Stuhl sprang, sagte er:
    »Hörst du, Clotilde? Wenn du aufräumst, sollst du die Akten da oben nicht anrühren.«
    »Gut, Meister!« antwortete sie zum drittenmal folgsam.
    Er lachte jetzt wieder mit seiner natürlichen Fröhlichkeit.
    »Das ist verboten.«
    »Ich weiß, Meister!«
    Und er schloß den Schrank mit einer kräftigen Umdrehung des Schlüssels wieder ab und warf den Schlüssel in ein Schubfach seines Arbeitstisches. Das junge Mädchen wußte über seine Forschungen so weit Bescheid, daß sie ein wenig Ordnung in seine Manuskripte bringen konnte; und er beschäftigte Clotilde auch gern als Sekretärin, er ließ sie seine Aufzeichnungen abschreiben, wenn ein Kollege und Freund wie Doktor Ramond ihn um eine der Unterlagen bat. Aber sie war keine Wissenschaftlerin, er verbot ihr einfach, das zu lesen, was sie seiner Ansicht nach nicht zu erfahren brauchte.
    Mittlerweile wunderte er sich jedoch über die tiefe Aufmerksamkeit, in die sie, wie er spürte, versunken war.
    »Was hast du denn, daß du den Mund nicht aufmachst? Malst du diese Blumen mit solcher Leidenschaft ab?«
    Auch das war eine jener Tätigkeiten, die er ihr oft übertrug, die Anfertigung von Zeichnungen, Aquarellen, Pastellgemälden, die er dann als Illustrationen seinen Arbeiten beilegte. So stellte er seit fünf Jahren sehr merkwürdige Versuche an einer Sammlung von Stockrosen an; durch künstliche Befruchtung hatte er eine ganze Reihe neuer Farbtöne erzielt. Clotilde legte bei diesem Abmalen eine solche Gründlichkeit, eine solche Genauigkeit in bezug auf Zeichnung und ungewöhnliche Farbgebung an den Tag, daß er sich immer über eine derartige Zuverlässigkeit wunderte und zu ihr sagte, daß sie »ein hübsches kleines klares festes rundes Köpfchen« habe.
    Aber als er dieses Mal näher trat und ihr über die Schulter blickte, stieß er einen Aufschrei gespielter Wut aus.
    »Ach, verflixt noch mal! Diesmal willst du also selbst was erfinden … Willst du das gefälligst gleich zerreißen!«
    Sie hatte sich aufgerichtet, das Blut war ihr in die Wangen gestiegen, die Augen flammten vor Leidenschaft für ihr Werk, ihre schmalen Finger waren fleckig von Pastellfarben, vom Rot und Blau, das sie zerdrückt hatte.
    »Oh, Meister!«
    Und in diesem zärtlichen »Meister« voll schmeichlerischer Unterwürfigkeit, in diesem
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