Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Doktor Pascal - 20

Doktor Pascal - 20

Titel: Doktor Pascal - 20
Autoren: Émile Zola
Vom Netzwerk:
den Artikel ausgeschnitten und zu dem Aktenstück Saccard gelegt hatte. Beim Anblick der ausgeschnittenen Zeitungsseite wurde ihr zweifellos alles klar, denn auf einmal wanderte sie nicht mehr auf und ab, sondern ließ sich auf einen Stuhl sinken, als wüßte sie nun endlich, was sie erfahren wollte.
    »Dein Vater ist zum Direktor von ›L˜Epoque‹ ernannt worden«, fing sie plötzlich wieder an.
    »Ja«, sagte Clotilde seelenruhig. »Der Meister hat es mir gesagt, es stand in der Zeitung.«
    Mit aufmerksamer und besorgter Miene sah Félicité sie an, denn diese Ernennung Saccards, diese Aussöhnung mit der Republik war eine ungeheure Sache. Nach dem Sturz des Kaiserreiches hatte er es gewagt, nach Frankreich zurückzukehren, obwohl er als Direktor der Banque Universelle, deren kolossaler Bankrott dem des Regimes vorausging, verurteilt worden war. Neue Einflüsse, ganz außerordentliche Machenschaften mußten ihn wieder auf die Beine gebracht haben. Er war nicht nur begnadigt worden, er fing auch von neuem an, beachtliche Geschäfte zu machen, nachdem er sich in den großen Journalismus gestürzt hatte und wieder seinen Anteil an allen Schmiergeldern erhielt. Und die Erinnerung beschwor die einstigen Streitigkeiten zwischen ihm und seinem Bruder Eugène Rougon wieder herauf, den er so oft kompromittiert hatte und den er infolge einer ironischen Umkehr der Dinge nun vielleicht protegieren sollte, da der ehemalige Minister des Kaiserreiches nur noch ein einfacher Abgeordneter war und sich mit der Rolle abgefunden hatte, nur noch seinen gefallenen Herrn14 zu verteidigen, mit der gleichen Starrköpfigkeit, mit der seine Mutter ihre Familie verteidigte. Sie gehorchte noch immer folgsam den Befehlen ihres ältesten Sohnes, dieses selber vom Blitz getroffenen Adlers; aber auch Saccard lag ihr, was immer er tun mochte, wegen seines unbändigen Verlangens nach Erfolg sehr am Herzen; und außerdem war sie stolz auf Maxime, Clotildes Bruder, der sich nach dem Kriege wieder in seinem vornehmen Stadthaus in der Avenue du BoisdeBoulogne niedergelassen hatte, wo er das von seiner Frau hinterlassene Vermögen verzehrte; er war klug geworden und besaß die Weisheit eines Mannes, der, bis ins Mark getroffen, voller Verschlagenheit gegen die drohende Paralyse ankämpft.
    »Direktor von ›L˜Epoque‹«, wiederholte sie, »das ist ein richtiger Ministerposten, den dein Vater da erobert hat … Und ich vergaß dir zu sagen, ich habe noch an deinen Bruder geschrieben, um ihn zu bewegen, uns zu besuchen. Das würde ihn ablenken, würde ihm guttun. Außerdem ist da dieses Kind, dieser arme Charles …«
    Sie ließ sich nicht weiter darüber aus, das war auch eine der Wunden, an denen ihr Stolz blutete: ein Sohn, den Maxime mit siebzehn Jahren von einem Dienstmädchen bekommen hatte und der jetzt, etwa fünfzehn Jahre alt und schwachsinnig, in Plassans bald bei dem einen, bald bei dem anderen lebte und allen zur Last fiel.
    Einen Augenblick wartete sie noch, weil sie hoffte, Clotilde werde eine Bemerkung machen, die ihr erlauben würde, auf das zu sprechen zu kommen, worüber sie sprechen wollte. Als sie aber sah, daß das junge Mädchen gleichgültig blieb und nur damit beschäftigt war, die Papiere auf dem Pult zu ordnen, faßte sie einen Entschluß, nachdem sie einen kurzen Blick auf Martine geworfen hatte, die gleichsam stumm und taub weiter den Sessel ausbesserte.
    »Dein Onkel hat also den Artikel aus ›Le Temps‹ ausgeschnitten?«
    Clotilde lächelte sehr ruhig.
    »Ja, der Meister hat ihn zu den Akten gelegt. Ach, was er da an Aufzeichnungen begräbt! Die Geburten, die Todesfälle, die geringsten Vorkommnisse des Lebens, alles kommt dort hinein. Da ist auch der Stammbaum, du weißt doch, unser berühmter Stammbaum, den er laufend ergänzt.«
    Die Augen der alten Frau Rougon waren aufgeflammt. Sie sah das junge Mädchen starr an.
    »Du kennst diese Akten?«
    »O nein, Großmutter! Niemals hat der Meister mit mir darüber gesprochen, und er verbietet mir auch, sie anzurühren.«
    Aber Félicité glaubte ihr nicht.
    »Ganz ehrlich, du brauchst sie doch nur zu nehmen, du hast sie doch sicher auch gelesen.«
    Von neuem lächelnd, antwortete Clotilde voll gelassener Aufrichtigkeit schlicht und einfach:
    »Nein, wenn der Meister mir etwas verbietet, so hat er seine Gründe dafür, und ich richte mich danach.«
    »Nun gut, mein Kind«, rief Félicité heftig, die sich von ihrer Leidenschaft hinreißen ließ. »Da dich Pascal sehr gern
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher