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Doktor Pascal - 20

Doktor Pascal - 20

Titel: Doktor Pascal - 20
Autoren: Émile Zola
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nehmen.«
    Was von Pascal tatsächlich bleibt, sind weder seine Untersuchungen zur Vererbungslehre noch seine langjährigen medizinischen Forschungen, sondern das geistige Vermächtnis seines Credos, dessen sich Clotilde in der Schlußszene mit ihrem Kind, dem leiblichen Vermächtnis Pascals, nochmals erinnert:
    » … diesen schließlichen Glauben an eine bessere Welt, wenn die Wissenschaft den Menschen mit einer nicht abzuschätzenden Macht, versehen haben wird; alles annehmen, alles für das Glück verwenden, alles wissen und alles vorhersehen, die Natur auf die Rolle einer Dienerin beschränken und in der Ruhe der Befriedigung des Geistes leben! Inzwischen genügte die gewollte und geregelte Arbeit für die gute Gesundheit aller … Und angesichts der ungeheuren Mühe … sah sie nur noch eine brüderliche Menschheit … Wie die Sonne badet die Liebe die Erde, und die Güte ist der große Strom, aus dem alle Herzen trinken …«
    »Das Leben, das Leben, das in Strömen dahinfließt und nicht abreißt und von neuem beginnt, auf eine unbekannte Vollendung zu! Das Leben, in dem wir baden, das Leben mit seinen unendlichen und gegensätzlichen Strömungen, immer in Bewegung und unermeßlich wie ein grenzenloses Meer!«
    Wichtiger als die Solidaritätserklärung für die Wissenschaft im ersten Teil dieses Credos ist im zweiten Teil der Glaube an die sich durchsetzenden Kräfte des Lebens. In diesem Glauben lag die philosophische Schlußfolgerung der Reihe beschlossen. Und auf diese kam es Zola an. »Ich möchte mit dem ›Doktor Pascal‹ die philosophische Bedeutung der ganzen Reise zusammenfassen«, lautet der erste Satz seines Romanentwurfs. (Hervorhebung R. Sch.)
    1868 hatte er die Beschäftigung mit solchen weltanschaulichen Fragen weit von sich gewiesen. Er wollte nicht wie Balzac eine »Entscheidung in menschlichen Dingen« treffen und sich mit Politik, Philosophie und Moral abgeben. Ihm genügte es, einfach Wissenschaftler zu sein. Und wenn schon eine Philosophie vonnöten war, nicht um sie auszubreiten, sondern um seinen Büchern die erforderliche Einheit zu geben, dann wäre sicher der Materialismus am besten, das heißt »der Glaube in Kräfte, über die man sich niemals näher auslassen müßte«.
    Aber nun, angesichts des Kampfes der Meinungen und philosophischen Richtungen, angesichts des Wankens und der grassierenden Irrlehren, glaubte er es nicht mehr »den Gesetzgebern und Moralisten« überlassen zu können, die Lehren aus seinen Büchern zu ziehen. Die »Predigt« schien mit der »analytischen Studie« vereinbar, denn es ging um das Höchste, den Sinn des Lebens, und damit zugleich um die Möglichkeit der Erfüllung dieses Sinnes. Pascal gehört zu denen, die wissen möchten, warum sie leben. Das ist das Thema dieses letzten Romans. »Was war der Sinn dieses abscheulichen Daseins ohne Gleichheit und Gerechtigkeit, dieses Alptraums einer Wahnsinnsnacht?« fragt sich Clotilde nach dem Tode Pascals.
    Diese Frage wird Zola von nun an nicht mehr loslassen, und in der verschiedensten Weise wird er darauf eine positive Antwort zu geben suchen. In den »Drei Städten« vom Standpunkt einer neuerlichen Überprüfung des Glaubens und der Wissenschaft, insbesondere der sozialistischen Lehren, und in den »Vier Evangelien« durch die utopische Vorwegnahme einer den Sinn des Lebens realisierenden künftigen Gesellschaft.
    In Kenntnis dieser späteren Antworten würde man erwarten, daß Zola auch schon im »Doktor Pascal« in die Frage nach dem Sinn des Lebens die Frage nach der für die Erfüllung dieses Sinns besten menschlichen Gemeinschaft einbeziehen würde. Schließlich hatte er bei der Vorbereitung seiner letzten Romane der »RougonMacquart« immer wieder betont, daß er bei jeder neuen Frage, der er sich zuwende, »an den Sozialismus stoße«.
    Aber Zola redete mehr vom Sozialismus, als er theoretisch davon verstand und vielleicht auch unter seinen Bedingungen verstehen konnte. Im Grunde war für ihn Sozialismus eine vage Vorstellung von Weltverbesserung, Gerechtigkeit, Wahrheit, Güte und Liebe. Was unter Sozialismus wissenschaftlich zu verstehen war, hatte er trotz seiner persönlichen Bekanntschaft mit Guesde, gelegentlich der Vorbereitung der »Erde«, nicht erfaßt. Aus den Reden Guesdes über eine vom Kapitalismus befreite sozialistische Zukunft hatte er nur allgemeine, gleichsam bildhafte Eindrücke zurückbehalten, ohne den wesentlichen Kern des Ganzen zu begreifen. Was in seinem Gedächtnis
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