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Doktor Pascal - 20

Doktor Pascal - 20

Titel: Doktor Pascal - 20
Autoren: Émile Zola
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einer solchen objektiven Naturkraft, der geheimen Arbeit im Innern der Menschen, nachgegangen. In den »Notes générales« heißt es: »Ich muß die Kraft Vererbung in eine Richtung ansetzen …« Und die Richtung ist gefunden als Befriedigung des Triebs nach Reichtum, Ruhm und Denken. Was Zola hier subjektiv als Experimentator bewirkt, vollzieht sich ohne Zutun des Menschen objektiv in der Natur selbst. Die Entwicklung und Bewegung in der Natur ist das Ergebnis einer ungeheuren Kraftanstrengung, einer »unaufhörlichen, siegreichen Mühe der lebenden Natur«, wodurch sie immer wieder Neues zeugt und hervorbringt. Nur dadurch bleibt das Leben erhalten. Diesem objektiven Gesetz ist auch der Mensch unterworfen. Durch die Liebe hat er teil an dieser lebenzeugenden Arbeit, durch die Liebe, die sich nach dem Naturgesetz im Kinde vollendet und erfüllt. Erst dadurch wird auch sie zum Motor der großen Allbewegung, taktet der Mensch sich ein in den Rhythmus der Natur.
    Diesen Gedanken, daß das Kind die natürliche Frucht der Liebe zwischen Mann und Frau sein müsse, daß nur eine degenerierte Gesellschaft die Liebe zur sterilen Lust herabgewürdigt habe, ist Zola nicht müde geworden, in seinen späteren Werken unaufhörlich zu predigen. Nicht zufällig trägt eines seiner Evangelien den Titel »Fruchtbarkeit«. Im vorliegenden Roman quält sich Pascal mit der Angst, kein Leben mehr zeugen zu können. Deshalb glaubt er sein Recht auf Clotilde verwirkt und gibt sie frei.
    Doch der Mensch hat nicht nur durch diese in die Natur selbst einmündende Kraftanstrengung teil an ihrem Werk, sondern auch durch alle anderen Formen subjektiver Kraftanstrengung in der Arbeit. Dabei ist die Arbeit des Bauern der Natur am nächsten, mit deren »Arbeit« sie zusammenfließt. Aber ebenso wichtig ist die geistigschöpferische, wissenschaftliche Arbeit, weil sie hilft, die Natur und ihre Gesetze zu erkennen und zu beherrschen und so die Kraftanspannung des Subjekts in die Kraftanspannung des Objekts einzufügen, den Menschen gleichsam mit dem Arbeitsrhythmus der Natur zu homogenisieren.
    Seine Arbeit gewissenhaft auszuführen ist deshalb des Menschen oberste Pflicht. Wenn man sie erfüllt, ist die Harmonie mit dem Wirken der Natur hergestellt, und aus dieser Harmonie, aus diesem Gleichklang des individuellen Lebensrhythmus mit dem Lebensrhythmus der Natur entsteht für den einzelnen das Gefühl der Zufriedenheit, wenn nicht des Glücks. Ein anderes Glück kann der Mensch bei dem derzeit erreichten Stand der Gesamtentwicklung nicht erwarten.
    Im travailBegriff Zolas traf sich nicht nur der Aktivismus seiner Lebensphilosophie mit seiner Einschätzung der gesellschaftlichen Rolle der Wissenschaft, er spielte auch noch in seine Sozialismusauffassung hinüber. In der Rede vor den Studenten verweist Zola zur Unterstützung seines von ihm anempfohlenen Heilmittels Arbeit auf die Haltung des Sozialismus zu dieser Frage: »Sieht man im heraufziehenden Sozialismus sich nicht schon dieses Gesetz von morgen, der Arbeit für alle, abzeichnen?«
    So gab die Zentralkategorie seiner Lebensphilosophie, der Arbeitsbegriff, zumindest im Ansatz zugleich den Blick frei auf die tatsächlichen geschichtsbewegenden Kräfte.
    Die Frage nach dem Sinn des Lebens ist das Zentralthema, das im »Doktor Pascal« durchleuchtet wird aus der persönlichen und zwischenmenschlichen Sicht. Zugleich ist mit diesem Zentralthema ein zweites verbunden, die Frage nach dem Sinn der Wissenschaft.
    Mit der Darstellung dieser Doppelthematik war zugleich die Erfüllung der Reihenfunktion im Sinne der obengenannten ZuEndeFührung der historischen, wissenschaftlichen und philosophischen Fragestellung verkoppelt, und außerdem hatte der Roman gleichsam eine innerliterarische Funktion zu erfüllen, nämlich die, Zolas künstlerische Methode, seine naturalistische Vorgangsweise zu legitimieren. Auch hier ging es, angesichts der seit dem Manifest der Fünf nach der »Erde« nicht mehr verstummenden Angriffe auf den Naturalismus, um ein Fazitziehen. Hatten Zolas Kritiker recht? Hatte er aus Lust am Obszönen, Zotigen in seinen neunzehn Bänden soviel Schmutz ausgebreitet, oder war dies eine notwendige und heilsame Methode gewesen? Hatte das »tout dire« seine Berechtigung? War seine Absicht wirklich rein? »Mimile, tu es sale« (du bist dreckig), hatte selbst einmal seine Frau zu Zola gesagt (gelegentlich eines Essens bei den Charpentiers, von dem Goncourt berichtet). Mit diesem letzten Buch
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