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DJ Westradio

DJ Westradio

Titel: DJ Westradio
Autoren: Sascha Lange
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Russischvokabeln war überhaupt nicht meine Stärke.
    Beate war jedenfalls von den Schlümpfen begeistert. Ich war von Beate begeistert, so richtig jedoch erst einige Jahre später. Sie stand auf das Lied »Teenagerliebe« der Westberliner Band Die Ärzte, das sie uns immer in der Pause vorsang. Viele Jungs aus der Klasse waren damals in Beate verknallt, aber sie hat das, glaube ich, nie mitbekommen.
    Als 1983 in unserer Klasse die Poesiealben rumgereicht wurden, schrieb sie mir folgenden Spruch ein:
    So wie die Täubchen leben
    in Fried und Einigkeit,
    so wünsch ich Dir im Leben
    Glück und Zufriedenheit.
    Diesen las ich wieder und wieder in der Hoffnung, zwischen den Zeilen einen versteckten Hinweis auf eventuelle Zuneigung zu mir zu finden, aber meine Suche war vergebens. Sie stand auf Farin Urlaub, den Sänger der Ärzte, und dem konnte keiner in unserer Klasse das Wasser reichen.
    Eines der großen Mysterien in meiner Schulzeit war die »Alarmkette«. Mit der Alarmkette war es möglich, alle Schüler innerhalb kürzester Zeit in die Schule zu beordern. Das erschien schon deshalb überflüssig, weil wir ja von montags bis samstags immer in der Schule waren. Egal, die Alarmkette funktionierte folgendermaßen: Diejenigen, die von der Schule aus am entferntestenwohnten, bekamen von der Klassenlehrerin einen Anruf. Daraufhin rannten diese zu den nächsten Klassenkameraden, die kein Telefon zu Hause hatten, und so wurden alle anderen auf dem Weg zur Schule eingesammelt. Innerhalb von zehn Minuten konnten mit dieser Methode alle Schüler unserer Klasse in der Schule sein, das hatten wir mehrmals geprobt. Aber wozu? Die Termine für die Pioniernachmittage standen Wochen vorher im Hausaufgabenheft und wann wir früh in der Schule zu sein hatten auch. Wollte man uns etwa im Falle eines nuklearen Angriffs der NATO im Betonschulkeller ein paar Stunden länger am Leben halten, während unsere Eltern bereits verreckt waren?
    Eines der »Problemkinder« in unserer Klasse war in den Augen der Lehrer Andi. Andi war eigentlich ein netter Kerl, aber er war impulsiv und hatte eine große Klappe, besonders gegenüber Lehrern. Ich erinnere mich an eine Begebenheit, als sich Andi mit unserer Geographielehrerin Frau Müller in die Haare bekam. Andi schrie sie vor versammelter Klasse an: »Mach mich nicht an, bei ›Miami Vice‹ wären Sie schon längst tot.« »Miami Vice« war im Westfernsehen zu dieser Zeit die angesagteste Krimi-Serie aus den USA, die natürlich alle aus unserer Klasse guckten – die Lehrer bestimmt auch. Frau Müller war jedenfalls empört und wollte ihre Autorität wiederhergestellt wissen. Es kam zu einer Aussprache mit der Direktorin und Danni, einer FDJ-Funktionärin aus unserer Klasse. Beim nächsten Appell wurde öffentlich ein Direktorentadel gegen Andi ausgesprochen. Den Grund konnten wenig später alle Schüler in einem Schaukasten Wort für Wort nachlesen, und wir sahen viele lachende Gesichter. IhreAutorität konnte Frau Müller nun nie mehr vollständig wiederherstellen.
    Im Laufe der Jahre halfen wir uns immer wieder gegenseitig bei Leistungskontrollen – so gut es ging, und solange es der Lehrer nicht mitbekam. In der 9. Klasse saß ich einmal ideenlos über einer Arbeit, die sich mit dem gesellschaftlichen Leben in der DDR auseinandersetzte. Dafür sollte es dann das »Abzeichen für gutes Wissen« in Gold, Silber oder Bronze geben. Sollte ich hier etwa die Wahrheit schreiben? Zumindest die, welche mir meine Eltern zu Hause erzählten? Das könnte Ärger geben, vor allem für meine Eltern. Hilfesuchend schaute ich in die Klasse. Ich nahm Blickkontakt zu Dirk auf, einem unserer Einsenschreiber und alten Kindergartenkumpel. Flüsternd fragte ich ihn, was wir denn da hinschreiben sollen. Er blickte mich an und flüsterte mir zu: »Schleimen!« Jetzt wußte ich Bescheid. Ich schrieb, daß die SED alles zum Wohle des Volkes unternehme, daß wir in Frieden und Geborgenheit aufwüchsen und keiner um seinen Arbeitsplatz fürchten müsse. Und so weiter und so fort, eben dieses Blablabla, das in den Staatsbürgerkundebüchern stand. Das »Abzeichen für gutes Wissen« in Silber, das ich dafür bekam, überraschte mich überhaupt nicht. Angesteckt habe ich es mir natürlich nicht. Es verschwand in der Schreibtischschublade und ward nie wieder gesehen.

Paketabholung
    Was war das für ein Ereignis, wenn die Postfrau klingelte und einen Paketschlüssel brachte. Ursprünglich wurden die einfach in die
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