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DJ Westradio

DJ Westradio

Titel: DJ Westradio
Autoren: Sascha Lange
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hin, denn wir konnten ja täglich vergleichen: das Warenangebot in den DDR-Kaufhallen gegen die Sachen aus dem Intershop und der Westwerbung. Was für ein ungleicher Wettbewerb. Wir hatten zu Hause zwar nur einen kleinen Schwarzweißfernseher, aber ich erkannte sofort, daß das Zeug von drüben einfach viel bunter aussah und viel besser schmecken würde. Dabei herrschte – zumindest bei den Grundnahrungsmitteln – in der DDR wahrlich keine Knappheit. Hungernmußte niemand. Auch Bier und Schnaps standen immer reichlich in den Regalen. Aber die Verpackung ist es letztlich, die zum Kauf animiert, zum Habenwollen. Und alle Westwaren hatten eine schöne Verpackung. Produkte für Gewinner. Für Menschen auf der Sonnenseite des Lebens. Wer wollte nicht dazugehören?
    Die große Nachfrage und der gleichzeitige Mangel an Westprodukten in der DDR führte zu einer gewissen Mythosbildung, zu einer Glorifizierung, die wirklich seltsame Blüten trieb. Besonders die Leute, die aufgrund fehlender Westkontakte so gut wie keine Chance hatten, in den Besitz von Westwaren zu kommen, versuchten trotzdem, an der westdeutschen Warenwelt teilzuhaben. In zahllosen Schrankwänden und Jugendzimmern befanden sich regelrecht kleine Altäre, die dem begehrten Westprodukt huldigten. Leere HB- oder Marlboro-Zigarettenschachteln, ausgetrunkene BOLS-Likör-Flaschen, Getränkedosen von Coca-Cola und DAB-Bier, die irgendein Westbesuch zurückgelassen hatte.
    Gern wurden auch die Verpackungen westlicher Nahrungs- und Genußmittel recycelt, die man collagenhaft außen an seinen Papierkorb klebte. Ein BRD-Mikrokosmos im Zimmer voller DDR-Realitäten.
    Getränkedosen-von-drüben-Sammeln war ebenfalls schwer angesagt. Auch ich gab mich irgendwann diesem Hobby hin. Zum Wegschmeißen waren die doch echt zu schade, so schön bunt wie sie waren. Die Dosen gab es im Intershop zu kaufen, und außerdem brachten die Messebesucher zweimal im Jahr Nachschub. Im Sommerurlaub an der Ostsee fand ich außerdem pausenlos Dosen am Strand. Diese waren an Landgespült worden, nachdem irgendein skandinavisches Fährschiff seinen Müll im Meer entsorgt hatte. Leider waren all diese Fundstücke schon angerostet, und ich mußte sie schweren Herzens liegenlassen, denn das Sammeln von vergammeltem Zivilisationsmüll war nun wirklich unter meiner Würde. Dafür angelte ich auf der Rückfahrt auf einem Transit-Autobahnrastplatz eine gut erhaltene Fanta-Dose aus der Mülltonne, die mir bisher noch gefehlt hatte.

Shop - Exquisit - Delikat
    In der Schule erzählten wir uns immer einen Witz: »Was heißt eigentlich SED?« – »Das ist die Abkürzung für Shop, Exquisit und Delikat.«
    Der Besuch von Westverwandten und Messegästen, die Pakete von drüben und das Westfernsehen brachten den Westen zu uns nach Hause. Aber mal in so einem richtigen Westladen einkaufen, wo es nur Westsachen gibt … Kein wirkliches Problem in der DDR, dafür gab es die Intershops. Die DDR brauchte D-Mark, und die Besucher aus dem Westen hatten sie in der Tasche. Also bot man ihnen ihre Westwaren im Osten an. In Leipzig gab es Intershops wegen der vielen westdeutschen Messegäste in jedem größeren Hotel sowie einen in der Innenstadt gleich hinter dem Kino »Capitol«, ein anderer befand sich auf dem Technischen Messegelände vis-à-vis meiner Südvorstadt. Noch heute könnte ich aufzählen, in welchen Regalen welche Sachen standen, nicht weil wir dort alles leergekauft hätten, sondern weil ich dort so oft zum Gucken war.
    Ursprünglich nur für Besucher aus der BRD eingerichtet, durften ab Mitte der 70er Jahre auch DDR-Bürger in Intershops einkaufen, sofern sie über D-Mark verfügten. Das war für viele Leipziger nicht allzu schwer, wenn sie auf der Messe bei westlichen Firmen arbeiteten, Messegäste von drüben hatten oder die Westverwandtschaft bei ihren Besuchen ein paar Scheinchen spendierte. Und natürlich ließ auch meine Westomaihrem lieben Ostenkel hin und wieder einen Westzehner zukommen.
    Die Intershops lagen in der DDR, und doch schienen sie völlig außerirdisch zu sein. Wer die Schwelle zum Geschäft überschritt, tauchte für kurze Zeit komplett in die westdeutsche Warenwelt ein. Es fielen einem in den hellerleuchteten Räumen sofort drei Dinge auf: Erstens standen dort Regale, die bis zur Decke nur mit Westwaren gefüllt waren, und das sah wunderschön bunt aus. Alle diese »Markenprodukte«, die man aus den Werbepausen von ARD und ZDF kannte, gab es hier. Zweitens machten die Kassen
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