Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
DJ Westradio

DJ Westradio

Titel: DJ Westradio
Autoren: Sascha Lange
Vom Netzwerk:
länger in Briefkontakt, und so hatte es sich ergeben, daß wir uns seit Monaten gegenseitig das Herz ausschütteten. Das tat gut und half uns beiden über so manchen Liebeskummer hinweg.
    Manchmal glaubte ich wirklich, daß sie ein Engel war. Denn sie kam, ohne daß wir uns vorher verabredet hätten, immer genau zur richtigen Zeit. Einmal war ich bei einem Konzert in der Nato und wünschte mir, daß Bea doch hier wäre. Nun ratet mal, wer später hinter mir stand. Etwas verband uns, was schwer zu beschreiben war. Mehr als »gute Freunde«, aber weniger als »platonische Liebe« vielleicht. Wir waren wie zwei Katzen, die sich ab und an trafen und einige Zeit zusammen über die Dächer der Südvorstadt kletterten, um dann wieder jeder für sich zu verschwinden. Mann, klingt das kitschig, aber 1990 gab es hier einfach nichts, was es nicht gab.
    Eine platonische Liebe ganz anderer Art wuchs ebenfalls im Laufe des Jahres 1990. Die Liebe zum Radiosender DT64 aus Ostberlin. Während der turbulentenEreignisse des Herbstes ’89 emanzipierte sich der einzige DDR-Jugendradio-Sender schnell von seinem FDJ-Image und wurde in der Folgezeit zu einem wirklichen Identifikationspunkt für zahllose Jugendliche in der DDR. Befreit von staatlicher Bevormundung, gingen die Redakteure mit großem Idealismus ans Werk. Besonders die Tages-Playlisten ließen mich immer wieder staunen. Hier wurde nun einfach alles gespielt, auch Songs meiner eher unbekannten Indie-Helden. Das getraute sich drüben schon kein öffentlich-rechtlicher Sender mehr, aus Angst, Hörer an die private Konkurrenz zu verlieren. Abends kamen Spezialsendungen für verschiedenste Musikrichtungen, auch für mich war eine dabei. Roland Galenza moderierte ab Anfang 1990 die zweistündige »Sonntagspätvorstellung«. Er spielte tonnenweise neue Sachen vor allem aus England, die mich zum einen an meine damaligen Indie-Lieblingsbands wie Cocteau Twins oder The Smiths erinnerten, andererseits aber auch an einheimische Combos wie Die Vision. Besonders 1991 überhäufte mich »Electric Galenza« mit neuen guten Platten. Alles Sachen, von denen ich noch nie gehört hatte, die aber genau meinen Nerv trafen. Es war echt verrückt. Gut ein Viertel meiner Platten- und CD-Sammlung von heute läßt sich auf Galenzas Empfehlungen zurückführen. Bands wie Ride, Slowdive, My Bloody Valentine und so weiter. Die kennt heute immer noch keiner, ich wollte hier an dieser Stelle aber mal ein paar Bandnamen erwähnt haben. Mein Soundtrack für die neue Zeit war diese melancholische Popmusik mit lärmenden Gitarren, quasi die Weiterentwicklung der Pop- und New-Wave-Sachen, die ich bislang gehört hatte. Passenderweise hieß meineneue Lieblingsplatte von einer Band namens Kitchens of Distinction »Strange Free World«.
    Für DT64 war übrigens im vereinten Deutschland kein Platz mehr. All die Hörerinitiativen, Unterschriftensammlungen, Benefizkonzerte und Demonstrationen halfen nichts. Die Bundesregierung hatte festgelegt, daß es keinen landesweiten Jugendsender im Osten geben dürfe, weil das im Rundfunkstaatsvertrag so drinstand. Daß dieser Radiosender für viele Jugendliche in den Wendewirren ein echter Halt war, interessierte in Bonn niemanden. Nachdem man DT64 1992 endgültig abgeschaltet hatte, rieselte aus meinen Radio nur noch der Sand der öden Radiowüste, bis heute übrigens. Und wir hatten früher immer gedacht, was wirklich gut ist, könnte sich auch im Kapitalismus durchsetzen.

Wiedervereinigung
    Ein knappes Jahr war es her, daß wir um den Ring gezogen waren, um ein schöneres Leben einzufordern. Die Demonstranten hatten Aladins Wunderlampe zu fassen bekommen, an ihr gerieben, und der Geist war wirklich erschienen. Als erstes wünschten sich alle die alten SED-Bonzen weg, denn wir waren ja das Volk. Es dauerte nur ein paar Tage, und der Wunsch erfüllte sich, es war offenbar nicht so schwer gewesen.
    Der nächste war schon etwas gewagter: »Die Mauer muß weg!« Doch auch das wurde uns erfüllt. Der letzte Wunsch wurde vom Umfang her geradezu unverschämt: Die DDR sollte komplett in die BRD mit übernommen werden. Aber der Flaschengeist ließ sich nicht lumpen und erfüllte auch diesen Wunsch. Zuerst die Währungsunion am 1. Juli 1990, wo plötzlich aus dem wertlosen DDR-Geld harte Westmark wurde. Gekrönt werden sollte das Wunderwerk mit der Vereinigung beider deutscher Staaten, welche juristisch gesehen ein Beitritt war (und in manch anderer Hinsicht vielleicht sogar ein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher