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Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin

Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin

Titel: Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin
Autoren: Sascha Kathrin / Lobo Passig
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gezaubert werden können. Oder weiß ich doch, man müsste mal zum Arzt. Morgen!
    (Astrid Fischer, Ärztin)
    Auch im zwischenmenschlichen Bereich hat der Umgang mit LOBOs manches für sich. Wir geben Geliehenes zwar nur selten zurück, aber dafür vergessen wir, Geld, Bücher und Werkzeuge zurückzufordern, die wir selbst verliehen haben. Wir zetteln nicht ständig Rechtsstreitigkeiten an, weil es viel zu mühsam wäre, einen Anwalt zu suchen, sich dort einen Termin geben zu lassen und diesen Termin einzuhalten. Schon aus Faulheit halten wir gern die andere Wange hin. Wir sind nicht gleich beleidigt, nur weil unsere Verwandten unsere Geburtstage vergessen oder unsere Freunde mal mit zwei Jahren Verspätung auf eine Mail reagieren. Wir fragen nicht andauernd «Was tut dieser fremde Schlüpfer da in deinem Bett?», sondern sagen höchstens «Oh, ist das meiner? Der muss hier aber schon ewig liegen, ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wann ich den gekauft habe». Prokrastinierer sind bescheidene Menschen, die ihre eigenen Beschränkungen und die des Universums erkennen.
    Aber nicht nur aus den Schwächen der LOBOs erwachsen der Gesellschaft Vorteile. Klar dürfte sein, dass die effektivsten wie auch die effekthaschendsten Kunstgriffe in der Geschichte der Arbeit allesamt von LOBOs in den letzten Minuten vor der Deadline erfunden worden sind. In komplizierten Projekten sind wir schon deshalb Gold wert, weil wir unter dem Druck, zwei Wochen nichts getan zu haben, in ein paar Stunden die rettende Idee haben können. Unsere Begeisterung mag kurz wie der Funkenschlag eines Feuerzeugs sein, lässt sich dafür aber ebenso oft entzünden. Und das auch mitten in der Nacht, wenn man uns anruft, Hilfe braucht und sonst keiner ans Telefon geht. Und durch jahrelange Übung in der Beschönigung der Tatsachen gelingt es uns, Dinge aus voller Überzeugung für glänzender zu halten, als andere sie wahrnehmen, und uns so auch in schwierigen Situationen zu motivieren.
    Wer sollte die Organisationselite an das Leben jenseits der Hyperproduktivität erinnern, wenn nicht wir? Wer würde den Schnitt dessen, was als gerade noch schaffbar gilt, auf dem jetzigen Niveau halten, wenn alle Menschen To-do-Listen in ihren Herzen trügen? Unser Mut, etwas eigentlich Notwendiges nicht zu tun, befördert den Fortschritt, denn er beweist der Welt und uns selbst immer wieder aufs Neue, dass scheinbar Unumgängliches und Selbstverständliches ab und zu in Frage gestellt werden muss. Und obwohl man keinem Einzigen von uns zu erklären braucht, wie man herumliegt oder im Gras sitzt, bis die Hose grün und feucht ist, können und wollen wir arbeiten. Wenn die Rahmenbedingungen günstig sind und wir Lust darauf haben. Und wie wir dann arbeiten! Zielgerichtet, auf den Punkt, effizient und in glücklichen Fällen sogar am ursprünglich beabsichtigten Projekt. Unsere Ergebnisse sind oft besser als die der anderen – weil wir das, was wir tun, gern tun.
    Mit Stress und Deadlines haben wir generell weniger Probleme; wir sind es nicht anders gewohnt, als dem Druck der letzten Minute standzuhalten und trotzdem klare Gedanken zu fassen. Wir haben im Zweifel häufiger schmerzhafte Niederlagen erlebt und können deshalb souveräner damit umgehen. Im Durchschnitt vertragen wir Kritik besser, denn auch hier ist unser Fell über die Jahre dicker geworden. Vermutlich sind wir auch weniger oft Arschlöcher, weil in uns jahrelang die Selbstzweifel genagt haben: «Bin ich vielleicht im richtigen Körper in der falschen Welt gelandet?» Und Zweiflern fällt es schwerer, böse Menschen zu sein.
    Das Scheitern ist unser Schlüssel zum Erfolg. Wir sind auf so viele verschiedene Arten, aber immer aus denselben Gründen gescheitert, und dieses Wissen ist ein Schatz in dem Moment, wo es wirklich drauf ankommt. Wenn es tatsächlich einmal um alles oder nichts gehen sollte, dann kennen wirdie Sollbruchstellen, dann wissen wir um die Untiefen, dann ahnen wir jeden machbaren Fehler schon vorher, weil wir ihn im Zweifel schon einmal gemacht haben. Wenn es wirklich, wirklich wichtig ist, werden wir mit einer unfassbaren Energie und Motivation an die Aufgabe gehen. Vielleicht nicht sofort, aber ganz bestimmt morgen. Oder übermorgen.

Riesenmaschine-Gastbeitrag: Die Zukunft der Prokrastination
    Die Riesenmaschine (riesenmaschine.de) ist ein Blog, das sich den Themen Zukunft und Fortschritt widmet. Wir haben ihre Autoren eingeladen, sich Gedanken über die Zukunft der Prokrastination zu
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