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Dimension 12

Dimension 12

Titel: Dimension 12
Autoren: Robert Silverberg
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vielen Jahren ins Dorf kam und im See badete und im Haus deines Vaters schlief?« Die Aufregung schüttelte ihn. V’Malku starrte die beiden aus blinden Augen an.
    »Vielleicht«, sagte sie. »Barchay. Ja, ja, ich glaube, mir fällt etwas ein. Du hast bei uns gewohnt. Ja.«
    Barchay seufzte schwer. »Sie erinnert sich kaum mehr«, sagte er zu V’Malku. »Gyla, hast du Kinder?«
    »Ja. Natürlich.«
    Barchay befeuchtete seine Lippen. »Ich möchte deine Kinder gerne sehen«, sagte er.
    »Gyla, hole deine Kinder«, befahl V’Malku.
    Sie brauchte etwa fünfzehn Minuten, um sie zusammenzutreiben; fünfzehn Minuten, in denen Barchay verlegen dastand und sich bemühte, den alten Mann nicht anzusehen, nicht an das Unrecht zu denken, das er V’Malku vor zwei Jahrzehnten zugefügt hatte. Endlich traten die Kinder ein.
    »Das sind meine Kinder«, sagte Gyla.
    Elf waren es. Drei junge Männer, die Barchay herausfordernd anstarrten, als würden sie ihn am liebsten auf der Stelle erschlagen; zwei beinahe erwachsene Mädchen, von denen eines wie das Jugendbildnis ihrer Mutter aussah; ein halbwüchsiger Knabe, der die Zehen schüchtern in den Boden grub; ein etwas jüngeres Mädchen, linkisch, mit dem ersten Ansatz von Brüsten; zwei kleinere Jungen, ein sehr kleines Mädchen und ein Baby unbestimmbaren Geschlechts. Bis auf die zwei kleinen Jungen und das jüngste Mädchen waren alle bekleidet.
    Ratlos – glitt Barchays Blick immer wieder über die Schar.
    »Sind das all deine Kinder?« fragte er heiser und sah die flachen, fremdartigen Gesichter prüfend an.
    »Die noch leben. Zwei sind schon tot.«
    »Hast du gefunden, was du suchtest?« fragte V’Malku von seinem Sitz im dunklen Winkel.
    »Nein«, antwortete Barchay. »Ich glaube, ich bin vergebens gekommen.« Der Magen lag ihm wie ein schwerer Klumpen Fleisch im Leib; seine Schultern hingen schlaff herab. Jetzt fühlte er sich nicht mehr wie sechzig, sondern wie achtzig. Er war unsagbar müde. Sein Leben war vergeudet.
    »Ich reite wohl wieder in meine Siedlung zurück«, sagte er düster. »Danke für deine Hilfe. Schade, daß ich mich geirrt habe.«
    »Du hast dich nicht geirrt«, sagte V’Malku.
    »Wie?«
    »Dein Besuch war nicht vergeblich.«
    Wieder sah Barchay sich alle Kinder an. Dann schüttelte er den Kopf. »Keines von ihnen… es wird wohl eines der beiden Verstorbenen gewesen sein, wie?«
    »Nein. V’Rikesh ist es, den du suchst. Der Älteste.«
    »Unmöglich!« Barchay betrachtete den großen Burschen im Hintergrund. Er sah die weit auseinanderliegenden Augen, die dicke, ledrige Haut. Dieser Bursche hatte nichts Menschliches an sich. »Unmöglich!« wiederholte er.
    V’Malku seufzte. »Tritt näher, V’Rikesh.«
    Der Bursche drängte sich durch den Knäuel seiner Geschwister und pflanzte sich in der Mitte des Zimmers auf. Haßerfüllt sah er Barchay an.
    »Ist er bekleidet?« sagte der Häuptling.
    »Ja. Er trägt einen Lendenschurz.«
    »Zieh dich aus, V’Rikesh«, befahl der Alte.
    Der Bursche starrte Barchay finster an. Mit schlanken Fingern griff er nach dem Lendenschurz, riß heftig daran und das Tuch fiel vor ihm zu Boden.
    Sekundenlang haftete Barchays Blick auf dem nackten Körper. Dann wandte er sich ab, und eine Träne stahl sich in sein Auge. Er hatte nicht gewußt, daß er noch weinen konnte.
    »Er ist es, wie?« fragte V’Malku.
    »Ja«, erwiderte Barchay leise. »Er ist mein Sohn.«
    Daran war nicht zu zweifeln. Auf der linken Hüfte des Burschen hob sich deutlich ein blaues Muttermal in der Größe einer Kinderhand ab.
    Später, als Barchay sein Lauftier sattelte und langsam aus dem V’Leeg-Dorf reiten wollte, verstellte ihm eine Gruppe junger V’Leegs den Weg und hieß ihn grob, abzusitzen.
    Er hatte nichts anderes erwartet. Seit seiner Ankunft hatte Gewalttätigkeit in der Luft gelegen. Er stieg ab, umklammerte mit einer Hand seine Waffe und schrie: »Was wollt ihr von mir? Ich ziehe in Frieden. Der Häuptling hat mir sicheres Geleit versprochen.«
    »Der blinde Narr?« lachte einer der Burschen. »Sein Geleitschutz ist ein Todesurteil!«
    Sie kreisten ihn ein. »Bleibt mir vom Leibe!« schrie er. »Ich bin bewaffnet!«
    Er zog seine Waffe, obwohl er wußte, daß sie über ihn herfallen würden, ehe er die Waffe benutzen konnte. Langsam wich er zurück und lauschte ihrem anklagenden Chor: »Verführer!« Sie wußten, wer er war. Sie würden ihn dafür bestrafen. Einerlei, dachte er müde.
    Nägel krallten sich in seine Brust, und er
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