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Digitale Demenz: Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen (German Edition)

Digitale Demenz: Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen (German Edition)

Titel: Digitale Demenz: Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen (German Edition)
Autoren: Manfred Spitzer
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weniger Gedichte auswendig lernt. Ich bin mir da nicht sicher, aber ich weiß, dass man dadurch lernen kann, seinen Geist als Speicher zu gebrauchen, und dies ist nicht unwichtig, wenn man etwas lernt. Wer schon weiß, dass er den Sachverhalt, mit dem er sich gerade beschäftigt, gar nicht lernen kann oder will, der lernt ihn auch tatsächlich deutlich schlechter. Wer also nicht darauf aus ist, dass etwas hängenbleibt, bei dem bleibt auch deutlich weniger hängen.
    Demenz ist mehr als nur Vergesslichkeit. Und so geht es mir bei der digitalen Demenz auch um mehr als nur darum, dass besonders junge Menschen immer vergesslicher zu werden scheinen, worauf erstmals koreanische Wissenschaftler im Jahre 2007 hingewiesen haben. Es geht vielmehr um geistige Leistungsfähigkeit, Denken, Kritikfähigkeit, um die Übersicht im »Dickicht der Informationsflut«. Wenn die Kassiererin »2 plus 2« mit der Maschine berechnet und nicht merkt, dass das Ergebnis »400« falsch sein muss, wenn die NASA einen Satelliten in den Sand (bzw. ins endlose All) setzt, weil niemandem aufgefallen ist, dass Inches und Meilen nicht dasselbe sind wie Zentimeter und Kilometer, oder wenn Banker sich mal eben um 55 Milliarden Euro verrechnen, dann heißt dies letztlich alles nur, dass keiner mehr mitdenkt. Offenbar hat in diesen Fällen niemand grob im Kopf überschlagen, was größenordnungsmäßig herauskommen müsste, sondern sich stattdessen auf irgendeinen digitalen Assistenten verlassen. Wer hingegen mit Rechenschieber oder Abakus rechnet, der muss die Größenordnung im Geist mitbedenken und kann kein völlig unwahrscheinliches Ergebnis liefern.

1. Taxi in London
    Sind Sie schon einmal in den USA mit dem Taxi gefahren? Dann hatten Sie vielleicht auch schon Erlebnisse wie ich vor einigen Jahren in San Francisco. Nach meiner Ankunft am San Francisco International Airport wollte ich zunächst Freunde besuchen, die nördlich von Berkeley wohnen. Ich nahm mir ein Taxi, denn nach knapp zwölf Stunden Flug wollte ich mich einfach nicht mehr auf das Gedrängel in U-Bahnen und Bussen einlassen. In den folgenden zwei Stunden musste ich jedoch erfahren, dass der Taxifahrer weder Englisch konnte noch die Stadt kannte; zu allem Überfluss war er auch gerade erst dabei, das Autofahren zu lernen. Ein zweiter Taxifahrer auf dem Beifahrersitz, der ebenfalls weder Ortskenntnisse besaß noch Englisch sprach, brachte es ihm gerade bei. In London kann Ihnen das nicht passieren. Dort können die Taxifahrer nicht nur Englisch und Auto fahren – nein, sie kennen sich auch sehr gut in der Stadt aus. Aber dazu später …

Fazit
    Gehirnnutzung führt, wie hier anhand unterschiedlicher Beispiele gezeigt wurde, zum Wachstum der Gehirnareale, die für die spezielle Fähigkeit gebraucht werden. Unser Gehirn funktioniert also in einer wichtigen Hinsicht so ähnlich wie ein Muskel: Wird er gebraucht, wächst er; wird er nicht benutzt, verkümmert er.
    Lange Zeit dachte man, dass sich das Gehirn bei geistiger Arbeit nicht verändert. Die Veränderungen vollziehen sich an winzigen Strukturen, den sogenannten Synapsen, deren genaue Untersuchung bis vor wenigen Jahren noch gar nicht möglich war. Auch die Auswirkungen auf das Gehirn und dessen Strukturen im Großen, wie sie in diesem Kapitel beschrieben wurden, konnten bis vor wenigen Jahren nicht untersucht werden, denn hierfür mussten erst eine aufwendige Technik der Gehirnbildgebung und komplizierte mathematische Verfahren zur Auswertung der Daten entwickelt werden. Heute wissen wir, dass unser Gehirn nicht nur das komplizierteste, sondern auch das dynamischste Organ in unserem Körper ist. Es verändert sich mit seinem Gebrauch. Wird es nicht gebraucht, dann wird neuronale Hardware abgebaut. Was das bedeutet, wird im nächsten Kapitel näher betrachtet.

2. Wo bin ich?
    Sind Sie auch öfter mit dem Auto unterwegs und verlassen sich auf Ihr Navigationsgerät? Dann wird es Ihnen vielleicht irgendwann so ergehen wie mir neulich, nachdem man mir dieses Wunder der Informationstechnik aus dem Wagen gestohlen hatte: Ich hatte Mühe, mich zurechtzufinden. Auch vom Fahrweg zu Orten, wo ich schon mehrfach gewesen war, hatte ich nur noch eine vage Ahnung. Völlig frustriert über meine Unfähigkeit zur örtlichen Orientierung, verfuhr ich mich immer wieder.
    Früher war das nicht so: Wenn ich einmal irgendwo gewesen war, fand ich auch wieder dorthin. Man hatte ohnehin eine Karte im Auto und wusste zumindest so einigermaßen, wo
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