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Digitale Demenz: Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen (German Edition)

Digitale Demenz: Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen (German Edition)

Titel: Digitale Demenz: Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen (German Edition)
Autoren: Manfred Spitzer
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man sich gerade befand und in welche Himmelsrichtung man sich gerade bewegte. Man achtete darauf, denn nur wenn man weiß, wo man ist, kann man sein, wo man will, wie mein Fluglehrer immer zu sagen pflegte. Steuert man ein kleines Flugzeug, dann kann man nicht mal eben rasch rechts ranfahren und auf die Karte schauen. Man muss vielmehr zu jedem Zeitpunkt wissen, wo man ist, sonst geht es einem nicht nur wie einem Piloten, der von Mannheim nach Nürnberg unterwegs war und irgendwann von tschechischen Abfangjägern zur Landung gezwungen wurde. Nein, man lebt auch gefährlich, denn es gibt verbotene Lufträume, und der Kraftstoff sollte vor dem Zielflughafen nicht ausgehen: Mal eben zur Tankstelle fahren geht in der Luft auch nicht. Daher ist Navigieren mit das Wichtigste, was ein Pilot lernt und tut.

Demenz
    Warum also fand ich mich ohne mein Navi plötzlich nicht mehr zurecht? Als Psychiater weiß ich nur zu gut, dass man auch mit 53 Jahren an Demenz erkranken kann. Die erste vom Neuropathologen Alois Alzheimer (1864–1915) beschriebene Patientin war zu Beginn ihrer Erkrankung 51 Jahre alt. Ging es also bei mir jetzt auch langsam los? Schließlich kann ich mir auch nicht mehr so gut die Namen von Menschen merken, deren Gesichter ich sofort wiedererkenne, und meinen Haustürschlüssel habe ich auch schon ab und zu morgens gesucht.

2.1 Auguste Deter aus Frankfurt am Main, die erste von Alois Alzheimer beschriebene Patientin mit der heute nach ihm benannten Form der Demenz
    Nun kann ich glücklicherweise aufgrund meiner Kenntnis der wissenschaftlichen Literatur mit einiger Sicherheit sagen, dass es um mich nicht allzu schlecht bestellt ist, denn was ich erlebte und erlebe, ist völlig normal: Wer seinen Haustürschlüssel nach einem langen Arbeitstag erschöpft nach Hause kommend irgendwohin wirft und dabei in Gedanken noch bei der Arbeit oder mit etwas ganz anderem beschäftigt ist, der hat die Stelle, wo der Schlüssel liegt, keineswegs vergessen, sondern gar nicht eingespeichert. [35]   Und wer auf einer Party ein paar Leute vorgestellt bekommt und einen davon wenig später beim kalten Buffet ansprechen will, sich aber einfach nicht mehr erinnert, wie die Person heißt, ist ebenfalls völlig normal.
    Amerikanische Wissenschaftler haben das Erinnerungsvermögen für die Namen von Menschen bei dreißig einseitig gehirngeschädigten Patienten (jeweils die Hälfte hatte die Schädigung auf der linken bzw. rechten Seite) und fünfzehn ganz normalen Kontrollpersonen untersucht, indem sie am Computer nacheinander zehn Gesichter und jeweils einen Namen zwei Sekunden lang zeigten. Danach wurden nur die Gesichter nacheinander gezeigt, und die Probanden sollten den Namen nennen. Nach einem Durchgang konnten die Patienten mit Hirnschädigung auf der linken Seite sich an keinen Namen erinnern, die mit der Hirnschädigung auf der rechten Seite auch nicht. Die Kontrollpersonen allerdings auch nicht! Bei der Wiederholung der Prozedur wurden alle Probanden langsam besser, aber auch nach sieben Durchgängen erreichte selbst die Kontrollgruppe keine hundertprozentige Erinnerungsleistung, wie aus der Abbildung 2.2 zu ersehen ist. Wenn Sie also wieder einmal am kalten Buffet stehen und einen Namen nicht wissen, dann sprechen Sie die Person einfach ganz ehrlich an: »Verzeihen Sie, aber wenn wir sieben Mal vorgestellt worden wären, hätte ich jetzt eine etwa achtzigprozentige Chance zu wissen, wie Sie heißen …«

2.2 Prozentsatz der korrekt erinnerten Namen von Personen, deren Gesicht zusammen mit dem Namen am Computerbildschirm präsentiert wurde in Abhängigkeit von der Anzahl der Präsentationen aller Gesichter/Namen bei gesunden Kontrollpersonen und Patienten mit Gehirnschädigung im Bereich des linken oder rechten Gehirns [36]  

Orientierung im Raum
    Das Suchen des Schlüsselbunds und Vergessen von Namen können Sie also getrost als normal verbuchen: kein Grund zur Beunruhigung und vor allem kein Anlass zur Sorge in Hinblick auf eine mögliche beginnende Demenz. Aber wie verhält es sich mit dem Navigieren? Nicht zu wissen, wo man ist, gehört zu den klassischen Symptomen in meinem Fachgebiet, etwa so, wie ein schneller Puls in das Fachgebiet des Internisten fällt. Wenn ein Psychiater einen Patienten untersucht, gehört es zur klinischen Routine, dass man einfache Fragen stellt, wie beispielsweise »Welche Uhrzeit und welches Datum haben wir jetzt gerade?«, »Wo sind Sie?« oder sogar »Wer sind Sie?«.
    Jeder
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